Mittwoch, 10. März 2010

Wie Strelitz Tschi-Kei kennen und lieben lernte

'Asiatischer Abend' versprach die Einladung, die Strelitz unverhofft ins Haus flatterte. Endlich mal eine Einladung, die zu Halten scheint, was sie verspricht, dachte Strelitz. Nicht so wie vorigen Freitag, als ihn sein Freund Ulli zu einer 'After-Show-Party' in den 'Alexanderhof' eingeladen hatte. Es wurde zwar grundsätzlich ein netter Abend, aber als sich im zweiten Showteil Bratislavas fidelste Großmutter anschickte, an ihrem siebenundachtzigsten Geburtstag drei gut gebauten Sudanesen die Abschiebehaft zu versüßen, und das trotz erkennbarer Inkontinenz, war für Strelitz der Punkt erreicht um den 'Alexanderhof' zu verlassen. Schon die zuvor gebotene 'After-Show-Party' hatte er sich etwas weniger tiefgründig vorgestellt.

Diesmal versprach die Einladung also einen asiatischen Abend und zu diesem Zweck bat man Herrn Strelitz den 'Jade-Pavillion' aufzusuchen, "...das vollklimatisierte Restaurant ganz in ihrer Nähe...". Strelitz kannte den 'Jade-Pavillion' bereits von vorherigen Besuchen und der Betreiber, Herr Han Xu, hatte sich diesmal offensichtlich große Mühe gegeben, seinen asiatischen Abend zu einem vollen Erfolg werden zu lassen. Neben Kantonesischen Feuerreitern hatte er eine Gamelan-Gruppe aus Bali und zwei Sportler von der Malakkahalbinsel eingeladen, die seinen Gästen die Kunst des 'Muay Thai' vermitteln sollten.

Am Anfang traten alle gemeinsam auf. Zum Klang der Gambangs, Gendér und Metallplatten sowie der unvermeidlichen Gongs und Cymbals führten die Boxer ihre einzelnen Übungen vor und die Feuerreiter sorgten für die Illumination; dann wurden die Karten gereicht. Und zwar zur Feier des Tages ohne Übersetzung. Strelitzs Chinesischkenntnisse waren allerdings begrenzt, insbesondere die der Schriftzeichen. Auch sein Lexikon half nicht wirklich weiter, galt es doch, die teilweise mehr als zwanzig Striche eines Schriftzeichens und schließlich den Namen eines Gerichts zu entziffern. War Nummer 188 nun "Lao Hu Dou" (frei übersetzt: "Zwischen Drache und Tiger") oder "Yi Shang Shu" ("Ameisen klettern auf einen Baum") stand da geschrieben. Strelitz konnte und wollte sich nicht vorstellen, welche Mischung er bei Nummer 188 wohl serviert bekommen würde, obwohl Ameisen ja durchaus einen hohen Proteingehalt haben sollen.

In China, das wusste Strelitz, muss man beim Essen mit dem Außergewöhnlichsten rechnen, denn in der Chinesischen Küche gilt alles Lebendige als essbar. Der Grund dafür, dass die Chinesen auch Hunde, Schildkröten, Heuschrecken oder sonstiges Getier essen, liegt laut 'Gallileo' darin begründet, dass sie mit nur fünf Prozent der bebaubaren Welt-Ackerfläche rund zwanzig Prozent der Weltbevölkerung satt kriegen müssen. Das Pro7-Aufklärungsmagazin ging sogar so weit, zu behaupten, im Norden Chinas werde konservativ gegessen, denn man dort würde auf Affe und Adler verzichten.

Dabei war es weniger Tierliebe, die Strelitz immer wieder zögern lies zu bestellen sondern eher die Tatsache, dass Auge und Ohr schließlich ja auch mit essen. So warf er immer wieder verstohlene Blicke an den Nachbartisch, an dem ein Vater und seine etwa neunjährige Tochter mit durchsichtigen Plastikhandschuhen große blutige Knochen umfassten und mit dem Strohhalm das Knochenmark austranken. Da half nicht einmal wegschauen - das schmatzende Sauggeräusch schwang ihm den Rest des Abends in den Ohren.

Strelitz entschloss sich nach der dritten Nachfrage von Herrn Log Han, dem jüngsten Sohn des Restaurantchefs, für die Nummer 94 "Pai Guang Hua", was er in etwa mit "Gepeitschte Gurken" übersetzt bekam. Immerhin liesen weniger ausgefallene Namen zu Gemüse zumindest ungefähr erahnen, was serviert werden wird. Und "Pai Guang Hua" stellten sich tatsächlich als flach geklopfte Gurkenstücke, kalt und mit Knoblauchsoße serviert, heraus; leider nur eine Vorspeise. Also wagte sich Strelitz dann doch an die Nummer 188 und Herr Log Hang sagte ihm, dass dies "Ameisen erklettern einen Baum" heißen würde. Strelitzs Phantasie wurde allerdings -und darüber war er durchaus froh- enttäuscht, denn es wurden ihm lecker gebratenes Gemüse mit kleingehacktem Schweinefleisch und Morcheln gereicht. Vielleicht sollten die kleinen Schweinefleischfetzen die Ameisen symbolisieren; wer weiß, dachte Strelitz. Mit frischem Ingwer und Frühlingszwiebeln gekocht, schien das Ganze jedoch ein Gaumenschmaus. Strelitz winkte noch einmal Herrn Log Han zu sich und fragte ihn, was denn nun "Zwischen Drachen und Tiger" gewesen wäre und erfuhr, dass dies traditionell eine Suppe mit Schlangen- und Katzenfleisch wäre, die in Deutschland mit Hasen und Schneckenfleisch hergestellt wird.

Ob solch froher Kunde begann Strelitz zu essen. Das heißt: Er begann sein Essen zu zelebrieren. Als erstes modellierte er auf seinem Teller aus Reis den südöstlichen Teil des 'Tjen Shan'-Gebirges, wobei allein der Gipfel des 'Chan Tengri' schon die neidischen Blicke einer weiblichen Bedienung erregte. Fast glaubt Strelitz, dass sie keine Mandelaugen hätte, so sehr riss diese ihre Augen auf. - Um das Gebirge herum legte Strelitz den 'Inyltschek'-Gletscher an, den er aus Morcheln und Chinakohl gestaltete.

Die Kokosmilch diente ihm als Gebirgsbach und gehackte Frühlingszwiebeln waren die Vegetation. Als Strelitz auch noch aus Glasnudeln, die er über dem zuvor zur Erwärmung der Speisen dargereichten Stövchen mit Reisschnaps kurz flambierte, Gipfelnebel über sein Essen zauberte bekam er ehrfürchtiges Schweigen aller chinesischen Restaurantbesucher. Herr Xu erklärte den anderen Gästen, dass sie nun leider nach Hause gehen müssten und dankte für den Besuch des asiatischen Abends, der für Strelitz aber gerade erst begonnen hatte.

Als das Lokal sich geleert hatte, waren dort nur noch Strelitz, Herr Xu, sein Sohn und die fünf Bedienungen. Die einzige weibliche Bedienung fragte Strelitz "Was trinken?" und Strelitz bewunderte die Fähigkeit der Asiatinnen, den Gast nach seinen Wünschen zu fragen, bei einfachsten Bestellungen zwar Schwierigkeiten mit den Grundnahrungsmitteln zu haben, dem Gast dann aber trotzdem die Nummer 71 mit der als Änderungswunsch bestellten 'Hoi-Sin'-Sauce wohltemperiert zu servieren.

Strelitz aß seine Mahlzeit -selbstverständlich mit Stäbchen- unter den Augen aller Anwesenden und als er geendet hatte, nicht ohne einen einigermaßen großen Rest auf dem Teller zu belassen (Chinesen sind nämlich beleidigt, wenn man alles aufisst, denn so zeigt man dem Gastgeber, dass er zuwenig von allem serviert hatte), sagte Herr Han Xu zu ihm: "Mein Herr, Sie sind ein großer Meister des Chinesischen Essens. Das haben Sie uns heute gezeigt." Strelitz fühlte sich geehrt. "Ihr Essen geht selbstverständlich auf das Haus" sprach Herr Xu und fügte an, ob Strelitz sonst noch einen Wunsch hätte: "Vielleicht 'Wan-Tan'-Gebäck mit süß-saurer Sauce, Krabbenchips oder kann ich Ihnen eine Dame bringen?" - Strelitz schaute Herrn Xu an. Mit einer Frau als Nachspeise hatte er nicht gerechnet und so fragte er nach, was dies zu bedeuten habe. "Nun" fuhr Herr Xu fort "ich könnte Sie mit Tschi-Kei bekannt machen, der Dame, die Sie bedient hat. Sie sagte mir vorhin, dass Sie gerne einmal einen großen Meister der asiatischen Esskultur kennen lernen möchte." Strelitz wusste, dass er Herrn Xu, Tschi-Kei und nicht zuletzt sich selbst diesen Wunsch nicht ablehnen konnte.

Und genau in diesem Moment kam Strelitz eine Zeile aus einen alten Song der Beatles in den Sinn: "...the magical mystery tour is hoping to take you away, hoping to take you away - on a mystery trip…". Und die Fab-Four hatten recht: An diesem Abend wurde Tschi-Kei seine Gefährtin, Ratgeberin, beste Freundin und behielt diese Rolle bis zum heutigenTag.

Dies ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, wie Tschi-Kei isst, wie sie ihr Schälchen an den Mund führt und das Essen mit den Stäbchen wie ein Schaufelbagger in sich hineinschiebt. Zum Schlucken nimmt sie sich dabei kaum Zeit. Kein Wunder, denkt Strelitz, dass Fast-Food-Ketten bei Chinesen so beliebt sind. Aber trotzdem geht nichts über das chinesische Essen, das Tschi-Kei kocht. Wohl auch wegen der Nebenwirkungen, die erst Stunden später auftreten: Der Mund verwandelt sich dank Glutamat langsam in eine Wüste. Noch beim Einschlafen fühlt man sich wie verdurstet, obwohl man da schon literweise Wasser getrunken hat.

Aber Tschi-Keis Liebe, das weiß Strelitz inzwischen, heilt am Ende alle Wunden. Selbst wenn sie dafür ihr letztes Hemd auszieht.


[Dieser Text wurde inspiriert durch den Artikel “GEPEITSCHTE GURKEN - Von den Widrigkeiten des Restaurantbesuchs in China” von Lena Corell. Der Autor dant der Autorin hierfür außerordentlich.]

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