Dienstag, 16. März 2010

Strelitz ist: Gottes Terrorist

"UM GOTTES WILLEN",
schrie Strelitz
und verließ fluchtartig den Planeten.

Strelitz und ein: Offener Brief an Heino

Sehr geehrter Herr Heino,

als Literatender ohne feste Antwort gehöre ich eigentlich nicht zur gleichen Kunstsparte. Dennoch möchte ich mich bei Ihnen als Vorprogramm bewerben!

Wenn man aber darüber nachdenkt, passt es aber doch schon ganz gut. Sie singen davon, wie schön die Welt ist und so weiter und ich schreibe darüber. Leider kommt die Welt bei mir nicht ganz so gut weg, wie in Ihren Liedern.

Beim zweiten Nachdenken erkennt man sogar: Sie bewegen die Menschen mit deutschem Liedgut und mir gelingt dies mit deutschen Texten. Hier also mein Angebot:

Ich trete als Vorprogramm auf mit meinen Texten und mache Ihr Publikum so richtig depressiv. Wenn das Publikum dann in tiefe Schwermut verfallen ist, dann kommt Ihr großer Auftritt.

Sie werden das Licht und die Hoffnung für die Menschen im Saal sein. Bei der U.S. Army funktioniert das nicht anders, ebenso bei Scientology ...

Ich hoffe auf ein Engagement Ihrerseits.

Herzlichst Ihr

Strelitz

Strelitz findet alles: Einfach geil!

(introducing: Gretchen)

Ein Hauch von ‚Deutschland sucht den Superstar‘ wehte durch das "Hotel Graf" im Herzen der Kleinstadt: Ein lokaler Musikveranstalter rief auf zum "Rampenfieber-Wettbewerb + Plattenvertrag" und STrelitz war dabei. "Die Leistungen reichen von Katzengejammer bis zu Popstar-Niveau", schätzte Jury-Mitglied Tom Haberle, der Marketingleiter der örtlichen Sparkasse die Lage vorab ein. Tom Haberle stand einst selbst als Musiker auf der Bühne; in den Achtzigern mit seiner Band "Frontal Hamer Sunburst".

Im Gegensatz zum Fernsehen gab es beim diesjährigen "Rampenfieber"-Wettbewerb keinerlei Altersbeschränkung und nicht nur Sänger durften mitmachen, sondern auch Künstler anderer Sparten; Strelitz hatte sich als Dompteur angemeldet. Schlagersänger Roy Schmidt gab sich gegenüber der Lokalpresse geschwätzig: "Im Vorfeld hatten wir fast 100 Bewerbungen, von denen wir ein Fünftel ausgewählt haben". Roy, der mit bürgerlichem Vornamen Robert heißt, hatte mit seiner Agentur "Miete einen Star" den Wettbewerb vor vier Jahren ins Leben gerufen, zu einer Zeit, wie er mehr als oft betont, in der noch niemand beim Fernsehen an Talentshows gedacht habe. "In gewisser Weise", so zitierte ihn etwa das "Güstrower Tagblatt", "hat in Deutschland ja alles mit uns angefangen", was STrelitz durchaus bezeifelte, hatte er in seiner Jugend doch oft den Talentschuppen im Scharz-Weiß-Fernsehen geschaut.

Die Bühne im "Hotel Graf" war übersichtlich und die Juroren achteten durchaus auf die künstlerische Qualität, vor allem in Punkte Kreativität und Eigenleistung. In die Wertung sollten, so Jurymitglied Tom Haberle, nicht nur die Leistung an sich, sondern auch die Erscheinung auf dem Podium, die Publikumswirkung und die Medienwirksamkeit der Darbietungen einfließen, weshalb Strelitzens die Hamsternummer mit dem Todessprung durch das Laufrad und dem Über-Kopf-Hängen am Oberteil des Hamsterkäfigs ersatzlos gestrochen wurde. Nur gut, dass er sich mit einer weiteren Nummer angemeldet hatte.

Besonders anrührig kam übrigens die Darbietung von Angie Böhm an. Angie war nun schon zum fünfzehnten Mal bei einer Castingshow dabei. "Die Musik ist mein Lebenswerk", sagte die 43-Jährige, ansonsten derzeit arbeitslose Sängerin zum Publikum und fügte, effektvoll ein Tränchen verdrückend, dass ihre Eltern ihr einst ein Musikstudium verwehrt hätten. Mit ihrem ersten eigenen Titel, der kongenial für ihre Bemühungen um Erfolg "Tränen der Nacht" hieß, trat sie an - und manche Zuschauer hatten tatsächlich ebensolche in den Augen. - Angies Manager, Lazlo Cléver, der nebenbei auch Vertreter einer großen Badischen Versicherung ist, deren Prospekte er auf den Tischen auslegte, war sich nach Angies Auftritt sicher: "Einmal hat sie zwar kurz gestottert, aber sonst lief es sehr gut. Diesmal klappt es bestimmt mit dem Plattenvertrag."

Dieses Ziel hat Marion Zickerl schon erreicht. Die 17-Jährige gewann den "Rampenfieber"-Wettstreit im vergangenen Jahr, wie Roy Schmidt stolz verkündete. Gerade sei ihre erste CD, produced by Roy Schmidt, auf dem Markt erschienen und die heißt "Frieden in allen Ländern". MarZi, so inzwischen der Künstlername von MArion Zickerl, berichtet dem Publikum nur zu gerne, dass sie mittlerweile sogar bei "Pan", der Band von Roy, eingestiegen sei. Der sei wie ein Vater zu ihr, vor allem, wenn sie für ihn auf der Panflöte spiele. Trotz dieser Erfolge wage sie sich jedoch noch nicht zu einem der Superstar-TV-Castings, sagt MarZi, denn "vor Dieter Bohlen habe ich zu viel Respekt." Deshalb trete sie lieber weiter mit Roy Schmidt auf als Duo "MarZi & Pan".

Dann kam STrelitz mit seinem dressierten Dalmatine namens Gretchen. Gretchen schlief uf Kommando auf der Bühne ein und lies sich auch duch gutes Zureden der Jury nicht von der Bühne. Strelitz sagte mit resignierendem Unterton, dass er da machtlos sei, denn wenn Gretchen erst einmal schlafe, dann könnten sie keine zehn Pferde wecken, was das Publikum mit Grölen und Applaus feierte, der sich ins Frenetische steigerte, als die Jury mehrfach erfolglos versuchte, den Dalmatine von der bÜhne zu zerren. In ihrem Schlaf fletschte Gretchen die Zähne und kralle sich am Bühnen bodne fest. Erst als man Strelitz und Gretchen den Sonderpreis der Jury versprach, wachte der Hund mit einem Mal auf, schüttelte sich, trabte dann frohgelaunt von der Bühne und das "Ramnpenfieber" konnte weitergehen.

Dieses Mal fiel der Hauptpreis der Jury, welcher neben Roy Schmidt, Tom Haberle und MarZi noch der Hotelchef und Ausrichter Udo Graf angehörte, erneut auf ein junges Mädchen: Katleen Törner, gefährliche 15, aus einem Örtchen in der Nähe von Görlitz gewann den fünften "Rampenfieber"-Talentwettbewerb. Seit vier Jahren würde sie, wie sie stolz verkündete, regelmäßig Gesangsunterricht nehmen und sowas zahle sich, neben ihrem "griffigen Namen" (so Roy Schmidt, der die Begründung der Jury verlaß), nun also aus.

Die "Stimmungs-Kanone" als Trophäe für nicht singende Künstler, verteidigten die Sieger des Vorjahres: Die Showtanz-Gruppe "InTuneStudio 32" aus der Nähe von Bretten bei Karlsruhe, wo übrigens Roy Schmidt geboren ist. "Die Entscheidung war sehr eng", sagte Juror Tom Haberle dem Publikum, der sich trotz seiner Funktion nicht gerne mit Bohlen vergleichen lässt. Knapp hinter den Siegern landete die lokale Tanzgruppe "Daniel plus Sahne", die mit einem bebrillten Vortänzer glänzte und damit in der Gunst des Publikums weit vorn lag. Sie räumten am Ende auch den Publikums-Sonderpreis ab: Einen Auftritt als Vorprogramm der Silvestergala von Roy Schmidt. "Einfach geil", fand Strelitz den Sonderpreis für sich und Gretchen: einen Fleisch- & Wurstgutschein der Fleischerei Insterburg, seit 1876 eine der führenden Fleischereien in Mecklenburg.

Einzig Angie Böhm gewann gar keinen Preis udn wurde von Tom Haberle getröstet. "Du schaffst es beim nächsten Mal ganz bestimmt", sagte er zu Angie und deren Tränen waren dieses Mal ganz echt. Und er muss es ja schließlich wissen, hat er doch über seinen Sparkassenjob hinaus durchaus Ahnung vom Musikbusiness und ist wahrlich kein Unbekannter in der Szene, denn schon lange bevor die Talentshow "Rampenfieber" eingeführt wurde e, war Haberle unter seinem früheren Künstlernamen Chef der härtesten Softrockband der Welt. - Und wer kennt sie nicht, die auch heute noch härteste Softrockband der Welt: "Steve Mütterchen und die Libellen."

Strelitz und die: Addition von Titeln

„Der schwere Mut überfiel Strelitz
und versuchte ihn auszurauben.
Reine Nervensache, dachte er sich.

Deutsche machen Musik bei der Arbeit.
Gute Unter-Haltung zwar, korrekt,
aber trotzdem eine Form von Gewalt.

Doch Wunder, Kinder, gibt es immer wieder.
Zum Beispiel den Golem von Lemgo
Non Stop in der Mailänder Richter-Skala.
Da macht einer für alle Musik und
die Städte sehen aus wie schlafende Hunde
im Sternzeichen Sündenbock.

"Brille!", schrie Strelitz, "Dein ist mein ganzes Herz,
ich brauch Dich jetzt, Du alter Ego!"

Da wachte Strelitz auf, ohne geschlafen zu haben
und Gott sprach zu ihm:
"Das ganze Leben ist möglicherweise ein Walzer.
Darum pass auf und verlasse Dich niemals ganz."

Strelitz bedauert: Die Selbstmörderin

In Ho-Tschi-Min-Stadt wollte sich eine Selbstmörderin in einen mehr als 100 Meter tiefen Abgrund stürzen. Immer mehr Schaulustige versammelten sich auf einer nahegelegenen Hängebrücke um mit ansehen zu können, wie sich die Frau im nächsten Moment in den Tod stürzt. Plötzlich riss ein Seil der völlig überladenen Hängebrücke und in Panik hielten sich die Menschen am letzten verbliebenen Seil der Brücke fest und warteten auf ihre Rettung. Für neun Schaulustige kam jedoch die Hilfe zu spät; sie stürzten von der Hänge-brücke in den Tod.

Dadurch, dass sie das Unglück mit ansehen musste, erschrak die Selbstmörderin und konnte von Polizisten vom Abhang weggerissen werden. Mit einem Schock wurde sie in eine Klinik in Ho-Tschi-Min-Stadt gebracht.

Strelitz schreibt den: Monolog eines Frotteehandtuchs während eines Saunabesuchs

Scheiß heiß hier. Und der Dicke, mit dem ich hier in die Sauna gekommen bin, dem läuft der Schweiß schon in Strömen. Wenigsten duschen hätte er sich mal können. Dann wär mir jetzt wenigstens schon ein wenig kühler. Aber nein, er hat wieder einmal nur simuliert. Dusche an, gekuckt ob niemand zuschaut, einmal schnell benetzt und dann die Dusche wieder aus. Hauptsache, dass ein paar Wasserperlen auf der Haut sind. Und dann nichts wie ab in die Sauna. Also, ich finde das sowieso ziemlich ungerecht, dass ich in der Sauna meistens weggelegt werde und nichts davon mitbekomme, was abgeht. Sehen kann ich zwar nichts, aber fühlen. Einmal hat mich ein junges Mädchen genommen und ihren ganzen Körper mit mir abgerubbelt. Das war toll. In was für Kanten und Ecken ich da gekommen bin.

Als sie fertig war, hat sie mich wieder zurückgelegt, als sei nichts geschehen. Dann kam mein Dicker und hat sich gewundert, dass ich schon ganz schlapp war. Aber es kann auch ganz anders kommen. Beim vorletzten Mal hat mich eine ältere Frau gepackt und gezwungen, Dinge zu machen, die ich freiwillig niemals mitgemacht hätte. Zum Beispiel mehr als eine Minute lang ihr den Rücken schrubben und danach noch ihre Zähne dazu. Und als mein Besitzer kam, tat sie so, als könne sie nicht mehr richtig sehen, sagte: Ach, das ist ja gar nicht mein Handtuch und redete sich raus. Da hab ich geschrieen: Alles geschwindelt - die Frau lügt! Aber keiner hat mir geholfen.

Aber ich bin ganz froh, dass ich bei meinem Dicken bin. Vorher war ich bei zwei Brüdern. Der eine hatte mich zum Geburtstag geschenkt bekommen, aber es hat ihm nie jemand gesagt, dass ich ein echtes Saunahandtuch bin. Die zwei haben sich immer gestritten und dann wurde ich gerollt und ich durfte losdreschen. Mann, hat das weh getan. Einmal schlug ich einem eine blutige Nase. Die hat er sich dann auch noch auf mir abgewischt. Oder ich wurde als Strandtuch benutzt. In den Dreck gezogen oder einmal sogar verbuddelt. Das war’s dann. Zwei Tage lag ich im Sand, dann holte mich der Verbuddler wieder raus. Es war ein Freund der beiden Brüder. Der legte mich in seiner Badewanne in Wasser und Waschmittel ein und säuberte mich. Nach dem Trocknen war ich ganz platt. Dann brachte er mich auf einen Flohmarkt und verkaufte mich für drei Euro an meinen Dicken.

Seitdem gehe ich regelmäßig einmal im Monat mit ihm in die Sauna und gehe dort meinen Pflichten nach. Denn ich muss ja meinem Retter dankbar sein, dafür, dass er mich hierher geholt hat. Da wo ich vorher war, gab es für mich keine Zukunft. Jetzt aber, da habe ich die Chance, dass mich einmal ein berühmter Sportler mitgehen lässt um mich im Fernsehen zu benutzen. Einmal nur in Wimbledon im entscheidenden Satz des Finales, kurz vor dem Matchball, über dem Kopf des späteren Siegers liegen und den Moment genießen; das wäre mein Traum. Und für diesen Traum werde ich hart arbeiten. Ich bin mir sicher, dass ich es schaffen kann. Jawohl, ich werde es schaffen. Hallo Deutschland, hier ist das Original-Handtuch aus dem Wimbledon-Finale 2003. Hallo, wollen Sie nicht aufstehen und mich zu sich nehmen. Hallo, mein Herr, hier bin ich ...

(Nachtrag: Dies wurde geschrieben als Auftragstext für Christine Paul)

Strelitz lebt in einer: Kleinstadt

"Ich lebe in einer Kleinstadt,
die mir alles gibt und alles hat
was ich zum Leben brauch'.
Diese Kleinstadt ist mein Nabel,
der mich nährt und festhält
bis ans Ende aller Zeit.

Manchmal leg ich mein Ohr ins Gras,
dann hör ich dies und hör das
was auf der Welt so geschieht.
Manchmal lieg ich im Regen und denke:
Hier komm ich niemals mehr weg.

Ich lebe in einer Kleinstadt,
in der ich aufwuchs und die mir das gezeigt hat,
was ich zum Leben brauch'.
Diese Kleinstadt ist mein Babel,
wir beide reden aneinander vorbei
und sind uns doch so nah.

Manchmal find ich ein Ohr im Gras,
ich bücke mich, heb es auf, steck es ein
und erzähle niemandem davon.
Manchmal denk' ich Van Gogh ist nah,
doch hier kann mir nichts passieren.

Ich lebe in einer Kleinstadt,
und frage mich gelegentlich,
ob man mich versteht.
Diese Kleinstadt ist mein Kabel,
ist mein Ohr, mein Radio, Hollywood, Big-Brother-Show
und das alles live und unzensiert.

Manchmal mähe ich das Gras,
ich mach das nur so zum Spaß
und zum Zeitvertreib.
Manchmal lieg ich im Regen und denke:
Diese Stadt lässt mich niemals mehr los."

Strelitz und: Die Korrektur der Sicht-Waisen

"Die Korrektur / der Sicht-Waisen
dafür will ich reisen / um die ganze Welt.
Ein Rendezvous / auf ausgefahrenen Gleisen,
mit getürkten Beweisen / und viel Schweigegeld.

Sagt mir nicht, dass ich es nicht schaffen kann, für diesen Job bin ich der richtige Mann.
Viele haben es versucht und haben's nicht geschafft,
das waren schlaffe Propheten ohne jede Kraft.

Die Korrektur / der Sicht-Waisen
dafür will ich reisen / um die ganze Welt.
Eine Kreuzfahrt / oder viele Jungfernreisen,
mit Kindern und mit Greisen / ganz wie es Euch gefällt.

Sie sind stumm, sie sind taub,
aus ihren Mündern kommt nur Staub,
wenn sie vorgeben zu verstehen.
'Ich bin Tarzan und Ihr ein Versehen.'
Sie zeigten mir wie die Welt funktioniert.
warum hab ich's wohl niemals kapiert?
Sie können laufen aber können nicht sehen
wie sie aufrecht zugrunde gehen.

Die Korrektur / der Sicht-Waisen
dafür will ich reisen / um die ganze Welt.
Ein Rendezvous / auf ausgefahrenen Gleisen,
mit getürkten Beweisen / und viel Schweigegeld.

Sagt mir nicht, dass ich es nicht schaffen kann, Ich bin dafür der genau richtige Mann.
Viele haben es versucht und haben's nicht geschafft,
das waren schlaffe Propheten ohne jede Kraft.

Für die Korrektur / der Sicht-Waisen
will ich reisen / um die ganze Welt.
Ein Deja-Vu / mit den weißen Ameisen,
den lauten und den leisen / Herrschern unsrer Welt."

Strelitz geht: Zurück ins Glied

"Ich habe viel zu viel gewollt,
bin freudentaumelnd rumgetollt.
Ich war stets der eifrigste Kreuzverhörer
und habe nur mir den Tribut gezollt.

Die besten Absichten korrumpiert,
die eignen Prinzipien irre geführt.
Ich wurde allmählich zum Mordverschwörer
und habe nur mich dabei anvisiert.

Von Anbeginn hast Du es kommen gesehen,
hast mich gewarnt - doch ich lies es geschehen.
So wurde ich auch noch zum Lebenszerstörer
und lies dann die Fahne auf Halbmast wehen.

Doch Du hast es versäumt mich dafür zu hassen,
hast mir Deine Tür stets offen gelassen.
Denn Du wusstest: Ich bin ein ZUDIRGEHÖRER -
ich kann das erst jetzt so richtig fassen.

Jetzt weiss ich: Dich werd' ich nie wieder verlassen."

Strelitz ist: Beruhigend

Letzten Endes, sagt Strelitz, kann man allen Leuten alles erklären.

Strelitz und der: Orgasmus bei Lesen

Hin und wieder geht Strelitz in seiner DVD-Thek und wundert sich, dass die Videotheken langsam aussterben. Strelitz wundert sich aber auch, was die Menschen sich so alles an Filmen ausleihen. Siehe, Klischees bestätigen sich, sagt Strelitz zu sich selbst. Männer leihen sich am liebsten harte Actionfilme aus, während Frauen eher auf Schokolade zum Frühstück stehen. Mit oder ohne Hugh Grant. Da gibt es übrigens schon verschiedene Fraktionen von Frauen. Die reichen von den Fans von Sean Connery und Johnny Depp über Brad Pitt... (entschuldigen Sie - auf Wunsch verschiedener Damen hat Strelitz festgelegt, man solle diesen Namen bitte korrekt aussprechen: Braad Pidd.....mmmmmh) ...bis hin zu Tom Cruise, Bruce Willis und -die Wählerinnen und Wählerinnen in Kaliforniens haben es allen gezeigt- Arnold Schwarzenegger.

Frauen sind da sehr viel mehr traumfixiert. Augen zu und durchdacht. Kostet ja nichts, was immer man will und merken tut es auch niemand. Gegessen wird dann zuhause. Obwohl: meist soll das zwar Fast-Food sein. Wobei wir wieder bei Wild Johnny Depp wären und 'Chocolat' und den 5-Gänge-Menus und Frankreich und ... genug jetzt.

In Strelitzens DVD-Thek gibt es zudem einen Ort, zu dem fast nur Männer gehen. Dort gibt es Fortbildungsfilme. Pornos. Nicht, dass er selbst schon jemals so einen Film ausgeliehen hätte. Und gesehen hat Strelitz die auch nur vom Hörensagen her. Aber es gibt da doch so manches, was einem keine Ruhe mehr lässt. Gut ... dass ältere Damen und Herren auch noch ein Sexualleben haben, das wusste Strelitz schon aus Büchern. Vorstellen konnte man es sich bisher allerdings noch nicht so richtig. Schließlich sind unsere Großeltern doch Halbgötter in grau-weiß. Meliert. Ohne Fehl und Tadel. Und mit Eintritt in das Rentenalter lassen sie alles etwas ruhiger angehen. Wohlverdienter Ruhestand. Natürlich auch beim Sex. Gerade wegen des Herzens. Ja, und nun muss Strelitz also sehen... Entschuldigung! ...hören, dass alles ganz anders ist. Die Omis und Opis feiern fidele Kaffeekränzchen, lassen sich von Krankenhauspflegern und Schwestern so richtig verwöhnen, halten Asylbewerbern aus Afrika die Stange und genießen ihr Leben mit 69, was nicht unbedingt auf das Alter zu beziehen ist.

Aber unsere Gesellschaft besteht ja nicht nur aus unseren Senioren sondern auch aus deren Kontrapunkten, den Schulkindern, sagt Strelitz. Kaum die erste Stunde Sexualkunde absolviert - der beginnt laut Gesetz übrigens für Darstellerinnen in diesen Filmen erst mit 18 Jahren -, da wird schon dem gesamten Lehrkörper der Kopf verdreht und noch ganz andere Körperteile. Außerdem scheint allen per Schulgesetz das Austreten während des Unterrichts strengstens verboten worden zu sein. Allerdings nur während des Unterrichts. Nicht während des Filmens, sagt Strelitz, das habe man ihn versichert.

Aber Strelitz muss zugeben: Das Hörensagen hatte sein wissenschaftliches Interesse geweckt. Und so hat er sich vor kurzem seinen ersten Fortbildungsfilm selbst ausgeliehen. Mit einem etwas peinlichen Gefühl stand er am Counter und wartete darauf, dass ihm die Dame hinter dem Tresen den Film mit den Worten: "Einmal 'Massenorgien', der Herr, bitte" überreicht. Aber weit gefehlt. Sie war super nett und diskret und sagte zum Abschied noch ganz süß "Tschüüsss" obwohl sie sich doch gar nicht kannten.

Und noch etwas hatte Strelitzens wissenschaftliches Interesse geweckt. Es ist eine Sache, die ihm seit der letzten Buchmesse im Kopf herum geht. Da wurde für ein TV-Magazin eine weibliche Person interviewt, die an eine Mischung aus Barbie und einen misslungenen Forschungsprojekt der US-Army erinnerte. Und die sagte auf die Frage, ob sie gerne Bücher lese live in die Kameras: „Sowieso. Und oft bekomme ich auch einen Orgasmus beim Lesen.“

Strelitz schwört: Einen Algorithmus habe er schon oft beim Lesen gehabt, er habe auch schon mit mehreren Büchern gleichzeitig im Bett gelegen. Und das mit dem Orgasmus werde er, sagt Strelitz, auch noch herausfinden. Manchmal könne einen im Leben, sagt er, eben nur noch ein Blick in Daniel Küblböcks Memoiren retten.

Strelitz ist: Beunruhigend

"Was würdest Du sagen,
wenn alles Bisherige
lediglich
ein Vorspiel war?"


Nachtrag: Nachdem Strelitz diesen Text geschrieben hatte, erreichte ihn kurz vor Weihnachten 2003 folgende E-Mail ...

Received from: mail.gmx.net (pop.gmx.net [213.165.64.20])
by rly-xm01.mx.aol.com (v97.10) with ESMTP id MAILRELAYINXM16-5ec3fe5fa9449
Date: Sun, 21 Dec 2003 14:55:00 -0500
Received: (qmail 29138 invoked by uid 65534); 21 Dec 2003 19:54:54 -0000
Received: from p5087D543.dip.t-dialin.net (EHLO P4I5H) (80.135.213.67)
by mail.gmx.net (mp015) with SMTP; 21 Dec 2003 20:54:54 +0100
X-Authenticated: #21237736

From: GiselaKunze@gmx.de
To: All_infoX@aol.com
Subject: you are an idiot
Importance: Normal
X-Mailer: Microsoft Outlook Express 4.72.3612.1700
X-MSMail-Priority: Normal
X-Priority: 3 (Normal)
MIME-Version: 1.0
Content-Type: multipart/mixed; boundary="P4I5H7ed4bf3cbc079.836d030"

Strelitz begleitet HRK 2003: (6) Ein Akt sozialer Hygiene

05. Juli 2003: Der WuKi-Notruf hatteStrelitz am 25. Juni 2003 kurz nach 13 Uhr erreicht. "Strelitz", sprach eine ihm bekannte Dame am Telefon, "es ist noch nicht vorbei. Gehe am 5. Juli nach Frankfurt am Main und berichte!" Dann legte sie auf und wie in 'C.O.B.R.A. - übernehmen sie' vernichtete sich Strelitzs Telefonapparat von selbst. Soll ich wirklich ein siebentes Konzert der 'Rückenwind'-Tour besuchen, fragte er sich. Aber solcherlei Gedanken waren müßig - Auftrag war schließlich Auftrag. Und nicht umsonst hatte er wegen solcher Anrufe vier neue Telefonapparate im Schrank.

Als erstes fütterte Strelitz seinen Bordcomputer mit den Daten des Abends: 19 Uhr 15 - ROLF STAHLHOFEN / 20 Uhr 05 - KIM SANDERS / 20 Uhr 50 - LEA FINN / 21 Uhr 30 - YVONNE CATTERFELD / 22 Uhr 05 - HEINZ RUDOLF KUNZE + VERSTÄRKUNG / 22 Uhr 45 - DANIEL LOPES / 23 Uhr 30 - KOOL AND THE GANG / 0 Uhr 50 Uhr – B3 / 1 Uhr 30 - RODGAU MONOTONES / 2 Uhr 20 – CAMOUFLAGE / 03 Uhr 40 - BROOKLYN BOUNCE.

Nach einer knappen viertel Stunde hatte Bordcomputer "Mäksimilien" die erste Hochrechnung parat. "Analyse: Es gibt drei Acts, die mehr Bühnenzeit haben als HRK. Es sind: KOOL AND THE GANG, CAMOUFLAGE und die RODGAU MONOTONES. Heinz + Band haben genau so viel Zeit zum Spielen wie ROLF STAHLHOFEN, KIM SANDERS, LEA FINN, YVONNE CATTERFELD, DANIE LOPES und B3. +++++ Ich werde drei Playlists vorschlagen, denn 40 Minuten Programm sind ja noch nicht mal eine Stunde (oder in Prozent ausgedrückt: genau 25 % der 'Rückenwind-Tour'). Außerdem dürften Umbaupausen abgehen." - Wie immer waren Mäksimiliens Analysen absolut authentisch; autistisch ohnehin. Es dauerte noch nicht einmal fünf Minuten und Mäksimilien lieferte Strelitz die Playlists.

"Ich schlage folgendes vor: # 1 / Die 'DanielLopez&YvonneCatterfeld'-Playlist +++++ 1) Himmelfahrtskommando 2) Da müssen wir durch 3) Mach auf 4) Rückenwind 5) Es ist nicht wie Du denkst 6) Schön und gut 7) Aller Herren Länder V.2003 8) Wozu Feinde 9) Dabei sein ist alles 10) Dein ist mein ganzes Herz. +++++ # 2 / Die 'Ich habs versucht'-Playlist +++++ 1) Der Schlaf der Vernunft 2) Manchmal 3) Balkonfrühstück am Pfingstmontag 4) Noch hab ich mich an nichts gewöhnt 5) Folgen Sie mir weiter 6) Meine eigenen Wege 7) Alles was sie will 8) Ich glaub es geht los 9) Alles gelogen 10) Ich hab's versucht +++++ PL # 3 / Die 'LeckMich'-Playlist +++++ 1) Hereinspaziert 2) Die Entbeleidigung der Stammtische 3) In der Sprache, die sie verstehn 4) Leck Mich (ultralange Rhythm'n'Blues-Version) 5) Ich hasse Dich 6) Ekelhaft 7) Man kann doch zu sich stehen, wie man will V.2003. +++++ Ich habe ermittelt, dass Playlist # 3 am rundesten laufen würde. Jeder Song passt musikalisch zum anderen. Der Sprechtext ist an der richtigen Stelle platziert. Eine fast ideale Kombination für einen 40 Minuten Live- Event als ein Akt sozialer Hygiene."

"Wir werden sehen..." schrieb Strelitz an Mäksimilien und dann ins WuKi-Forum.

Am 5. Juli fuhr Strelitz kurz nach sechs Uhr morgens los, wie immer bei solchen Anlässen natürlich mit den gecoverten Schuhen. Um 8 Uhr 30 war er in Frankfurt am Main angekommen und zwanzig Minuten später hatte er sein Auto im Parkhaus an der Konstabler Wache abgestellt. Nachdem er sich vergewissert hatte, wo sich die Bühne befand ging er um 9 Uhr zu 'Burger King' an der Neuen Kräme und frühstückte. Unfassbar, was er vor der Bühne gesehen hatte: Hunderte von Superstar-Fans hatten dort die Nacht in Schlafsäcken verbracht und Spruchbänder aufgespannt mit Texten wie: "Daniel - Ich will ein Kind von Dir" und "Yvonne - Darf ich Dich schwängern (Ich war auch schon 'mal bei BIG BROTHER)". In Strelitzs Kopf setzten sich Bilder zusammen, von dem, was sich hier in knapp 12 Stunden abspielen würde: Kreischende Teenies, die Yvonne C. gar nicht mehr von der Bühne lassen wollen. Dann Opa Heinz. Plötzlich, mitten im Auftritt, fangen die Teenies wieder an zu kreischen, weil irgend jemand das Gerücht gestreut hat, er habe Daniel Lopes schon gesehen. Obwohl Heinz mit Zeitverzögerung anzufangen hatte werden alle 'D-Lo'-Fans darauf drängen, dass ihr Star pünktlich anfängt. - Nahezu ideale Bedingungen für einen unvergesslichen Auftritt von HRK+Verstärkung. Und Strelitz durfte alles live miterleben.

Am Abend war Strelitz nicht mehr ganz allein auf sich gestellt. Jetzt war er einer unter fast 70.000 Fans vor der Hauptbühne und das waren mehr als doppelt so viele Besucher als auf der gesamten 'Rückenwind'-Tour. Yvonne Catterfeld hatte bereits gegen 20 Uhr 40 nach vier Playback-Übungen den Fans Adieu gesagt und nun warteten alle auf Heinz. Der saß derweil hinter der Bühne und fragte sich, was um alles in der Welt er 40 Minuten lang zwischen zwei Superstars verloren hatte. Damals 2000, im Osten, auf der 'Parkbühne Wuhlheide', als er nach Nena und vor PUR eine Stunde lang auftrat, war es ja noch fast ein Heimspiel gewesen. Die musikalische Beziehung zwischen Nena, ihm und PUR war die Rockmusik gewesen und: Es hatte funktioniert. Genau zur gleichen Zeit, damals, war Frau Catterfeld zur 'Stimme 2000' gewählt worden und startete kurz danach ihre Karriere bei "GZSZ". Und D-Lo hatte sich damals dazu entschieden, seine Zahnspange gegen ein Latino-Grinsen einzutauschen. Das waren noch Zeiten und Heinz stand noch für Rebelleganz, rhetori-schelmische Einlagen und Rock’n’Roll. Heute Abend aber ging es um sein künstlerisches Über-Leben.

Es war 20 Uhr 07 als Strelitz auf seine Uhr sah und Heinz + Verstärkung mit dem Himmelfahrtskommando für Gefühle und Verstand begannen. Der Sound beim Sound of Frankfurt war mies und sollte sich auch während der folgenden 36 Minuten nicht mehr verbessern. Obwohl Heinz den Fans zurief "Da müssen wir durch", war an ein Ankämpfen nicht zu denken. Jemand hatte die Gitarren in die hinterste Ecke gestellt und die Mikros der Verstärkung komplett gestohlen. Von Funkenverkehr nicht der blasseste Schimmer. Ach, dachte Heinz, deshalb singen die anderen Playback. Strelitz konnte live miterleben, wie sich die Freunde langsam entfernten. Willi, einer der ältesten HRK-Fans, die neben Strelitz standen, brachte es auf einen Satz: "Heinz reißt heute nichts mehr."

Doch Heinz wäre kein Profi gewesen, wenn er es nicht noch ein weiteres Mal versucht hätte. "Schönen guten Abend..." sagte er und suchte nach den richtigen Worten. Aus seinem Mund kam "...mach auf Frankfurt - mach auf!". Diesmal spürte er, was das hieß: "Ich fühle Dich beinah". Aber das Publikum versagte ihm die Loyalität. Schweißperlen auf der Stirn. Nein, dieses Publikum hatte es nicht verdient, zu erfahren, dass ein neues HRK-LiveAlbum folgen sollte. Und es hatte sich zudem noch nicht einmal die erste Anzahlung der Ironie von "Schön und gut" erworben. "Kannst Du mir noch folgen..." spach Heinz und neben Strelitz fanden sich wenigstens noch Einige, die "Meine eigenen Wege" mitsingen konnten. Hier bestand noch etwas Hoffnung, dass sie "Mabel" gut fanden. Am Ende des Liedes gab es mit Ulmers Keyboard-Solo den einzigen wirklichen Lichtblick des Konzerts.

Nachdem er die Band vorgestellt hatte setzte Heinz den Schlusspunkt mit "Dein ist mein ganzes Herz". Einmal davon abgesehen, dass man ihm ein unsägliches Roland- Keyboard aufgezwungen hatte (die Flügel hatte man allen anderen verliehen) funktionierte auch das Instrumental-Medley mit "Wenn Du nicht wiederkommst" nicht; aber wer von den Zuschauern hatte überhaupt verstanden, was Heinz mit "...und jetzt ihr.." meinte.

"Danke schön und viel Spaß noch: Tschüss!" sagte Heinz und das war’s dann auch gewesen: 36 Minuten HRK + Verstärkung zwischen Yvonne Catterfeld und Daniel Lopes. Nicht Einer für alle sondern Einer unter vielen. Und damit in der Tat ein unvergesslicher Auftritt von HRK+Verstärkung. Vor allem dank des Teleprompters, den Heinz in den 36 Minuten beinahe 365 Mal angeschaut hatte. - Was bleibt, am Ende der Zeit, war das Urteil, dass der Richter vergaß zu verkünden. Dafür übernahm es Mäksimilien:

"Ich stelle fest: Die 'DanielLopez&YvonneCatterfeld'-Playlist wurde fast erfüllt. Und: Heinz war als Sänger besser als Frau Catterfeld und Herr Lopes: Auch ein Akt sozialer Hygiene."

[R. I. P. Barry White]

Strelitz begleitet HRK 2003: (5) Der Merseburger Abend

14. Juni 2003: "Gelegen zwischen Leipzig, Halle, Jena ist die reichhaltige Bibliothek des Domcapitels zu Merseburg von Gelehrten oft besucht und genutzt worden. Alle sind an einem Codex vorübergegangen, der ihnen, falls sie ihn näher zur Hand nahmen, nur bekannte kirchliche Stücke zu gewähren schien, jetzt aber, nach seinem ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod bilden wird, welchem die berühmtesten Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben." Strelitz kannte diese Einleitung von Jacob Grimm und wusste dass sie den von Georg Waitz bei einem Studienaufenthalt in Merseburg entdeckten zwei Zaubersprüchen aus dem 9. Jahrhundert galten. In den Sprüchen wurden Zauberformeln angewendet "...einige zerrten an den Fesseln, entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!". Oder man konnte sein Pferd mit ihnen heilen: "Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt. Da besprachen ihn Sinthgunt und Sunna, da besprachen ihn Frija und Volla. Da besprach ihn Wodan, wie nur er es verstand: So Knochenrenke wie Blutrenke wie Gliedrenke: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien!" Eine Sensation in Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Und Strelitz wusste dass sie -richtig angewandt- immer noch ihre Wirkung versahen.

In vier Stunden sollte Heinz Rudolf Kunze vor dem Merseburger Schloss am Domplatz auftreten, doch es regnete in Strömen. Strelitz war klar, dass er etwas unternehmen musste um nicht in Gefahr zu geraten, so zu enden, wie der Kammerdiener des Bischofs Thilo von Trodte, dem einstmals ein Ring abhanden kam und der deshalb seinen Kammerdiener hinrichten lies. Jahre später entdeckte ein Schieferdecker den Ring in eines Raben Nest auf dem Turm der Domkirche, weswegen der Bischof den Tod seines Dieners sehr bedauerte.

Strelitz hatte vorgesorgt und alles gut vorbereitet. Um 16 Uhr 16 stellte er sich (als kleiner Tribut an seinen Nachnamen) neben die Jesus-Plastik vor der Stadtkirche St. Maximi und begann den dritten, bisher noch unentdeckten, Merseburger Zauberspruch zu murmeln: "Regen, Regen, sollst dich regen und nicht stören das Konzert." Und es gelang. Bis zum Ende des Konzertes im Schlosshof fielen nur noch winzige Tröpfchen vom Himmel; alle konnten HRKs 'Rückenwind' erstmals unter freiem Himmel und ohne Regenguss erleben.

Thommy Schminke vom HitRadioBrocken ("Wir haben die letzten Tage so oft Heinz Rudolf Kunze gespielt, dass sich die Grönemeyer-Fans schon beschwert haben...") heizte den Zuschauern mit seinen 'Spielen zum Anfassen' so stark ein, das Kulturamtsleiter George sogar etwas ins Schwimmen kam und die Fans auf dem "...Schalosspalatz..." begrüßte. Um 20 Uhr 32 wurde dann schnell noch Heinz' Teleprompter montiert, den man im Eifer des Gefechtes vergessen hatte, und bereits 20 Uhr 33 konnte es losgehen.

Für den nominellen Drummer, der an diesem Abend bei seiner nominellen Band 'Rosenstolz' spielte, hatte Heinz direkt aus Monaco Prinz Albert einfliegen lassen, der unter dem Tarnnamen Martin Langer zeigte, dass man mit viel Üben zwar noch keinen Rock’n’Roll auf die Bühne bringt, dafür aber das Tourprogramm fast fehlerfrei nachspielen kann. Der Meister selbst hatte seine Haarpracht etwas gekürzt, wirkte bestens gelaunt -fast wie ein frisch verliebter Teenager- und brachte souverän seinen Auftritt über die Bühne. Bei 'Es ist nicht wie du denkst' und 'Schön und gut' überraschte er sich sogar selbst mit neuen Textvariationen und sprach Killroy dafür einen Dank aus. Nicht nur zu Strelitzs Überraschung widmete er Mölle- und Friedmann sein Lied 'Wozu Feinde' und lies diesmal 'Ich hasse Dich' zugunsten des neuen 'Dabei sein ist alles' aus. Um 22 Uhr 50 erschien Heinz dann mit neuem 'Little Richard'-Sakko auf der Bühne und beendete 23 Uhr 10 unter frenetischem Jubel seiner Fans seinen Auftritt im wohl schönsten Ambiente der gesamten 'Rückenwind'-Tour. Danach mischte sich Strelitz unter die Schar der Autogrammjäger und tatsächlich schrieb ihm Heinz eine kleine Widmung in seine kleine blaue Kladde: "HRKunze 14.6.2003".

Zum Dank stellte sich Strelitz kurz vor Ende des Tages vor den Burggraben und spielte Heinz zu ehren seinen Evergreen von den 'Kinks':

"Ich hab versucht so zu leben und zu denken
wie man das von mir verlangt.
Aber trotzdem seh‘ ich doch
wie die Dinge funktionieren
seh' wie die Welt erkrankt.

Ich mag den ganzen Trubel nicht mehr
die Politik und den Verkehr.
Ich will in den Dschungel
denn da komm ich her:
Ich bin ein Affe.

Ich bin ein A
bin ein A-F-F-E.
Ich bin ein Affe.
Manchmal King Kong
dann wieder Schimpanseh.
Ich bin ein Affe.
Ich muss alles anfassen
was ich seh',
ich lauf barfuss
durch den dicksten Schnee.
Tret' in jeden Fettnapf
wohin ich auch geh':
Ich bin ein Affe.
La la la la lalla laaa - lall lalla laa"


Und so endete Strelitzs Wegstreckenbegleitung der 'Rückenwind'-Tour mit einem Blick zurück in den Spiegel der Zeit.

Strelitz begleitet HRK 2003: (4) Große Freiheit inklusive

21. Mai 2003: ”Ein neues Album ist bereits eingespielt und abgemischt und kommt im Frühjahr 2003 in die Plattenläden.” stand über Heinz Rudolf Kunzes Hamburger Konzert leicht angestaubt im Internet zu lesen und weiter hieß es da ”Nach der Veröffentlichung geht Heinz Rudolf Kunze mit seiner Verstärkung dann auf Tournee. Fans wissen, was sie erwartet: Guter Rock'n Roll mit aussagekräftigen deutschen Texten. Erleben Sie eine Institution des Deutschrocks live.” - Deswegen war Strelitz nicht nach Hamburg gekommen. Nein! Er wollte die Aufzeichnung der Kunze-DVD miterleben, die auf dem Kiez fürs Weihnachtsfest produziert wurde. Hamburg war Strelitzs fünftes Konzert auf der ”Rückenwind”-Tour und er wollte dieses Mal auch herausfinden, ob Heinz seine Bemerkung ”Na, Ihr vielleicht schon...”, die er normalerweise in jedem Konzert zur gleichen Zeit zum Publikum sagte, die seit Erfurt aber leicht verfrüht kam, heute zum richtigen Zeitpunkt machen würde.

Um 19 Uhr 50 war Strelitz im Hamburger Hauptbahnhof angekommen und lief von dort aus schnell zum Mönckebrunnen, wo die beiden berühmtesten Imbisse Hamburgs waren. Nur dort gab es für fünf Euro die ultimative Currywurst-Herausforderung: Ihr Name ”Jumbo". Legendäre 42 Zentimeter lang und 240 Gramm schwer, serviert mit zwei Brötchen und dazu extra viel Currygewürz.

Nachdem Strelitz bereits die Nordsee-Krise herbeigeführt und gut überstanden hatte war dies kein wirkliches Problem für ihn. Sein Problem hieß seit einigen Wochen Bobby Silbermann und war Aktionskünstler: ”1200-Kalorien? - Kein Problem,” hatte er in einer Zeitung getönt. Er habe immer Riesenhunger und außerdem würde er besonders die Extraportion Curry mögen. Und das stimmte. Die beiden hatten sich kennen gelernt und Bobby hatte ihn schon zwei Mal im Einhandessen besiegt. Drei Mal jedoch hatte Strelitz die Oberhand behalten, weshalb er leicht in Führung lag. Heute aber war er nicht mit Bobby verabredet, denn Strelitz wollte wenigstens einmal in Ruhe essen gehen.

Wie immer wurde er von Imbiss-Boss Hans Werner begrüßt, der ihm trotz der später Stunde als Vorspeise eine Krakauer-, eine Schinken- und eine Thüringer-Wurst servierte. Als Hauptgang gab es dann die Jumbo-Currywurst im Dreier-Pack und ein Liter Cola-Light. ‚Light‘ musste sein, denn Strelitz war ja schließlich Diabetiker. Nicht länger als 34 Minuten dauerte sein Besuch am Imbiss und dann fühlt er sich gestärkt genug um via S-Bahn zur Reeperbahn zu fahren und von dort aus die große Freiheit zu betreten.

Die Große Freiheit schien Strelitz im historischen Rückblick der angemessene Ort für Kunzes DVD-Konzert zu sein, war sie doch seit alters her ein Ort von Religions-, Gewerbe- und künstlerischer Freiheit gewesen. Auch an jenem grauen Tag des Jahres 1960, als fünf junge Musiker aus Liverpool auf der Grossen Freiheit die damals noch kleine und wackelige Bühne im Kaiserkeller betraten. Sie wurden beinahe ein Jahrzehnt lang die stärkste schöpferische Kraft der modernen Populärmusik und boten mit ihren Songs nicht nur Strelitz damals ein wirkungsvolles Identifikationsmodell zu einer durch Umbruch und Wertewandel stark geprägten Zeit, als der Zweite Weltkrieg gerade mal fünfzehn Jahre her war.

Und Strelitz gab den Beatles damals das zurück, was sie ihm vorgegeben hatten: Er wurde ihr Guru bei ”Sgt. Pepper...” und hatte deshalb lange mit sich gerungen, ob er an diesem Abend in die AOL-Arena zu Sir Paul McCartney gehen sollte, sozusagen als ”The Return of the Guru” oder zu Heinz um diesem Rückenwind zu geben. Am Ende seiner Überlegungen war Strelitz die große Freiheit lieber gewesen, als die kleine Aussicht auf Sir Pauls Erinnerung. Und vielleicht klappte es ja doch mit Paul, und zwar dann wenn es zur Zusammenführung von Paul McCartney und HRK kam.

Als Strelitz auf seinem Weg zu Kunze über die Große Freiheit spazierte, wurde es richtig still um ihn herum. Menschen blieben stehen, drängten zur Seite, tuschelten und staunten über den, der durch Ihre Reihen ging. Plötzlich trat ein Jüngling vor, stellte sich vor Ihn -ein Raunen ging durch die Reihen- und der Jüngling sprach tatsächlich Strelitz an: ”Hey, Du hast noch Curryketchup am Mund.” - Stille. Nach sekundenlangem atemlosen Schweigens öffnete Strelitz seinen Mund, sagte ”Danke Svennie!” und ging in die Halle. Der Jüngling mit der 'FC St. Pauli'-Basecap schaute ihm hinterher und betrat dann auch die Große Freiheit 36. Wahrlich, dachte er sich, ich habe Strelitz gesehen und erkannt. An seinen Schuhen. Wie er es vorhergesagt hatte. Und er hat mich gesehen. Und meinen Namen gewusst. - Was für ein Tag.

Doch sollte Svennie schnell erkennen, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte. Vor allem dann nicht, wenn Heinz Rudolf Kunze in der Stadt war.

"Dabei sein ist alles" war als Titel des Abends ausgegeben worden und immer wenn draußen Schweinewetter ist, dann ist die Große Freiheit umso schöner. Strelitz hatte sich im Vorfeld via Internet noch schnell eine Karte fürs Konzert besorgt, denn die Halle war bis zum letzten Fleck mit Menschen und Kameras gefüllt, um nicht zu sagen: überfüllt. "Hallo! Es wird eine Liveaufnahme geben und Ihr hier in Hamburg sollt sie unterfüttern mit Eurem Jubel". Heinz war zum Ende der Tour genauso gut drauf wie am Anfang und so sollte er auch auf den Bildschirmen und Heimmonitoren rüberkommen. - Strelitz fragte sich ernsthaft, wie er das wohl macht. Schnupftabak allein reichte da nicht mehr aus.

"Dabei sein ist alles" galt auch für etliche WuKis, die den Weg nach Hamburg gefunden hatten. Strelitz sah viele von ihnen zum ersten Mal. Frank zu finden war nicht weiter schwer, denn er sah noch genauso aus, wie auf den Fotos aus dem Home-Studio. Gleiches galt für MvS den Strelitz vor der Bühne entdeckte und genauso war, wie er sich auf seiner Homepage präsentierte. Svens Tarnkappe war unübersehbar (im Saal wie auf der kommenden DVD) und Strelitz entdeckte gleich neben ihm auch noch den Hamburger Andre und einige andere WuKis.

Strelitz verbrachte fast den ganzen Abend neben dem Verfolgungsscheinwerfer und hatte so den besten Überblick. Vor allem war er dort für die Kameras unsichtbar. Ebenso wie für die WuKis, die eifrig nach ihm suchten. Doch trotz Svennies Fahndungsaufruf war er einmal mehr unauffindbar und das hatte seinen Grund, denn Strelitz hatte in der Halle sein Jackett ausgezogen, die Schuhe gewechselt und auf der Toilette seinen Bart abrasiert. Außerdem trug er nun seine Sonnenbrille. Nur ein einziges Mal drohte er enttarnt zu werden. Ein weibliches Wesen namens Jeanette fragte ihn, ob er Strelitz sei und obwohl er verneinte machte sie ein Foto von ihm: Strelitz neben dem Scheinwerfer. Gegen solche Aufnahmen hatte er natürlich nichts, weil "...wenn ich Fotos von dir mache, ist da immer so ein weißer Fleck wie Schnee...". Strelitz sang übrigens aus vollem Halse mit. Dies allein schon, um nicht aufzufallen, denn es gab wohl niemanden in der Großen Freiheit 36, der an diesem Abend nicht am Mitsingen war. Nach dem Ende des Konzertes hatte Heinz die Tortour überstanden, bedankte sich beim Publikum und Strelitz hatte noch fünfeinhalb Stunden bis sein Zug nach Hause fuhr. Zeit genug um sich langsam von den Kunze-Fans wegzubewegen und ein wenig auf der Reeperbahn zu recherchieren.

Zwei Namen waren es, die seine Begehrlichkeiten weckten: "After Shock" und "Club 32". Das "After Shock" war ein Club, der von außen recht düster wirkte, bei dem innen aber alles ganz anders war. Chrom und Bonbonfarben überall und die Theke war ein echter Hingucker. Sogar die Musik lies nichts zu wünschen übrig. Es gab "Kunstkacke" und Gastgeber Fronk le Skonk skandierte dazu: "Wenn Kunst glänzen kann, warum nicht stinken?" Statt Sprach-Kot gab es aber doch verdauungsfreie Klänge von "Qua-C- Moto" und "2looseLoo-Treck", die sich kurzfristig entschlossen hatten, den Abend lieber auf der Bühne zu verbringen als auf der Toilette.

Als er um halb zwei wieder in der Freiheit war, bekam Strelitz Frischlust und suchte das "Johnny Blue" am Nobistor, vielen Hamburgern bekannt als Pub gleich neben dem 'Erotic Art Museum'. Doch lockte seit Neuestem in unmittelbarer Nachbarschaft auch ein Club unter demselben Namen die Kiezbummler an. Strelitz war schon auf der Zugfahrt in die Story eingetaucht, als er auf seinem Nebensitz eine "BILD-Hamburg" Ausgabe fand.

Es gab Streit um den Namen "Johnny Blue". Wegen eines "...unzuverlässigen Geschäftsführers..." -so der Hauseigentümer- hatte das Bezirksamt die Konzession für das "Johnny Blue" widerrufen. Vorausgegangen waren Unregelmäßigkeiten bei der Steuer. Daraufhin wollte er eine genauere Kontrolle der Bücher und setzte seinen Filius als neuen Geschäftsführer ein. Doch durch dessen Einflussnahme, so der "Johnny Blue"- Betreiber, sei das Club-Programm verflacht und wären dubiose Gestalten angezogen worden. Die Konsequenz: Er kündigte und zog mit dem neuen "Johnny Blue" in den "Club 32" der Fausi-Brüder, die auf dem Kiez auch das "Orient Café" betreiben. Sowas war 'Kiez-as-Kiez-can'. Die Eigentümer am Nobistor gaben natürlich nicht klein bei und drohen ihrem Konkurrenten jetzt mit einer Strafanordnung von 250.000 Euro bei einer weiteren Nutzung des Namens. Bis zur endgültigen Klärung heißt der Club also weiterhin "Club 32". Und sucht Herren, die sich etwas dazu verdienen können. - Auch das war die Große Freiheit.

Könnte er hier nicht sein Wissen über das weibliche Geschlecht um wesentliche Punkte erweitern? Es war kurz vor zwei Uhr und es hatte aufgehört zu regnen als Strelitz ernsthaft darüber nachdachte, ob er zukünftig als 'embedded journalist' recherchieren sollte. Beispiele für die erfolgreiche Arbeit eingebetteter Journalisten gab es ja genug. Und das nicht erst seit Doris Schröder-Köpf.

Strelitz begleitet HRK 2003: (3) Dabeisein ist alles

16. Mai 2003: „Alter!“ sagte Strelitz, als er sich seine Schuhe anschaute. „Ego!“ rief es aus Richtung seiner Füße zurück. Es war das erste Mal, dass seine Schuhe zu ihm sprachen. Und das auch noch in diesem merkwürdigen Baumhaus, das seine Freunde Mamertus, Pankratius, Servatus und Bonifaius in Witten zusammen mit der kalten Sophie bewohnten. [...]

Am Eingang wartete ein Mitglied des Sicherheitskommandos, welches sich bereits via Internet bei Strelitz zwecks dessen Enttarnung angekündigt hatte, mit der Frage: "Haben Sie einen Fotoapparat dabei?" Eine Frage, die alle fünf mit einem entrüsteten "Nein!" beantworteten, denn die mehrfach ausgezeichnete 'Nikon D1X' -eine hochauflösende digitale SLR-Computerkamera mit einer effektiven Auflösung von 5,33 Megapixeln- konnte man beim besten Willen nicht als 'Fotoapparat' bezeichnen. Das Risiko, dass der Nikon-Systemchip wegen einer solchen Entwürdigung beleidigt den Dienst quittieren würde, war einfach zu groß. "Na dann..." sprach der gute Mann und widmete sich wieder seiner Suche nach Strelitz.

Drinnen waren vorerst noch nicht so viele Kunze-Fans, was sich aber im Laufe des Abends ändern sollte. Pünktlich um 21 Uhr betrat der Kommissar mit seinen vier Assistenten die Bühne, nur Rehbein wurde schmerzlich vermisst, was aber durchaus seinen Grund haben sollte, denn "Ich hasse Dich" verzeiht einem keine Frau so schnell - selbst, wenn es die eigene sein sollte.

Das Konzert lief gut, der Sound war von Anfang an hervorragend und nur ein einziges Mal funktionierte die Kunze-Maschine nicht ganz fehlerfrei und zwar dann als Heinz seine berühmte 'Richter Skala'-Publikums-Kopfwaschung "...aber Ihr habt sie ja nicht gekauft..." inszenierte, das Publikum im Chor "WIR SIND DOCH NICHT BLÖD!" schrie und Heinz voreilig mit "Na - Ihr vielleicht schon..." konterte. Aber er entschuldigte sich schnell und sang "...manchmal tun mir meine Worte, meine Texte furchtbar weh und leid." Die anwesenden Wunderkinder nebst ihren Enkeln dankten es ihm und skandierten: "Noch eins, Heinz!". Derart angespornt spielten Kunze und Verstärkung diesmal bis 23 Uhr 45 und wurden danach von Fans des FC Rot-Weiß Erfurt in Sänften drei Mal um das Gewerkschaftshaus getragen. Das war vor allem einem Lied zu verdanken, das Heinz in patriotischem Gehorsam dem lokalen Fußballklub gewidmet hatte. Die gewannen tags darauf ihr Spiel in Wehen zwar nicht, dafür bekamen die Wehener Fans aber ein wahres Natur-Schauspiel geboten: Die Erfurter Schlachtenbummler verprügelten sich unter Absingen von "Wozu Feinde, wenn man sich selber hat" untereinander.

Nachdem Strelitz jedem seiner Freunde anlässlich seiner vierten Nicht-Enttarnung noch für 5,-- Euro ein 'Kunze'-Zippo gekauft hatte (und für die kalte Sophie sogar zwei) verließen er und seine Eisheiligen befriedigt das "Rückenwind"-Konzert und verabredeten sich dieses Mal schon für den kommenden Herbst, wenn die Tour in die Verlängerung gehen würde. Falls dann das Sicherheitskommando am Eingang des Erfurter Gewerkschaftshauses wieder so zuvorkommend war wie dieses Mal, könnten sie noch ein mal 512 MB Fotos machen. Am Hotel "Excelsior" sorgten Servatius und Mamertus noch schnell für die nötige Frische, damit die Musiker später problemlos regenerieren konnten; dann trennten sie sich.

Strelitz lief zum Bahnhof, nahm die letzte Regionalbahn Richtung Osten und zog zuhause die gecoverten Schuhe aus. Bis Hamburg mussten sie nun ohne ihn auskommen.

Strelitz begleitet HRK 2003: (2) Gecoverte Schuhe

11. Mai 2003: An den Schuhen konnten sie ihn erkennen. Und natürlich auch an seiner Gitarre, einer legendären Phoenix 'Blue Hour' aus Ahorn- und Palisanderholz. Die hatte Strelitz umhängen, als er sich am frühen Nachmittag in der Münchner Zellstraße aufbaute und den Passanten Kunzes Lieder vorspielte. "Leg nicht auf" und "Wenn Du nicht wiederkommst" wurden wohlwollend aufgenommen; der absolute Renner war aber seine neue Textpassage von "Rückenwind": "...vielleicht bringst Du mich ja weiter - bis ich meine Krücken find‘...". Kein Thema: Alle konnten es ja sehen, dass Strelitz nur noch ein Bein hatte.

Während er so spielte, dachte Strelitz darüber nach, wer seine musikalischen Oberlehrer waren. Damals, als er anfing Musik zu machen, als er eine Fender F-25 hatte und noch mit beiden Beinen im Leben stand. Bob Dylan gehörte sicherlich dazu. Den musste man einfach lieben. Und übersetzen. Weil man doch als Deutscher in Deutsch so vieles besser ausdrücken kann als in Englisch. In Englisch kann man gut schwindeln. Wenn einem der Text entfallen ist, ein paar mal auf dem Kaugummi rhumcowen und keiner hat etwas gemerkt. Aber in Deutsch, da muss jeder Satz stimmig sein; in dreifacher Hinsicht.

Wie oft hatte Strelitz in den Siebzigern mit Dylans-Klassikern abgeräumt: "Retter vor dem Sturm", "Ganz wie ‘ne Frau" oder "...und du denkst: Dieser Scheiß geht zu weit!". Das waren seine Versionen und man liebte ihn dafür. Dylan war Strelitzs Oberlehrer Nummer eins und 'Before the flood' sein Unterrichtsstoff. - Und wer waren die anderen? Neil Young natürlich, mit und ohne Crosby, Stills & Nash. Wie viele Male Strelitz durch die "4-Way-Street" gegangen war, das wusste er selbst nicht mehr. Aber Neil ohne Anhang war fast noch besser und ein kleines Werk namens "Sugar Mountain" Strelitzs Favorit. Von Young -mehr noch als von Dylan- hatte er seine Liebe für das freihändige Mundharmonikaspiel.

Natürlich: 'The Who' gehörten auch zu Strelitzs Idolen und selbstverständlich auch die 'Kinks'. Kein Wunder also, dass "Ich bin ein Af-fe" und "Ich bin so frei" aus seinem Repertoi nicht wegzudenken waren. Strelitz liebte auch die Geschichtenerzähler wie den frühen Marc Bolan oder Donovan. Donovans "Atlantis" hatte Strelitz schon 1975 perfekt übersetzt, aber mit dessen "Colours" tat er sich schwer und sang es lieber im Original. Dafür war er auf "Unbekannter Salamander" besonders stolz, denn man sagte ihm, es käme besser als Bolans Original.

Mit die härteste Schule durchlief Strelitz mit Mike Herons "Incredible String Band". Zwar ging es schnell, bis er die Akkorde von "Singing the Dolphin through" konnte. Dafür dauerte der deutsche Text endlos. Und als er "Ich singe durch den Delphin" gerade fertig hatte, kam die Earth Band und alle wollten das Lied nur noch in Englisch hören. Aber von der "ISB" hatte Strelitz nicht weniger als 8 Lieder drauf. Angefangen vom "Leuchtturm-Tanz" bis hin zu zwei, drei Jigs, die er mit Hundharmonika als Geigenersatz spielte. Und nochwas hatte mit der "ISB" zu tun: Strelitz war in Lakritze verliebt.

Deutsche Musik hatte Strelitz damals nicht im Programm, außer solche mit seinen eigenen Texten. Der anglo-amerikanische Einfluss war also in der Frühphase seines Musiklebens prägend und spürbarer als heute, was sich auch... - "Bist dua der Strelitz? - I' bin die Svennie" sprach ihn eine rothaarige Dame mittleren Alters an. Strelitz wurde abrupt aus seinen Gedankenflügen zurückgeholt. "Ja" sagte er überrumpelt; sie hatte ihn kalt erwischt. "Schoad" entgegnete sie und fügte an "Dera echte Strelitz hätt gsogt: 'I bin net...' - I moan: 'Ich bin nicht Strelitz'". - Strelitz schaute sie überrascht an. "Nix fiar unguat", sagte die Rothaarige "I muss. Heit spiealt Kunze in dera Mufathalle, doa hinna. Gehens doch moal hia. Es wära a geiles Konzert; hot Strelitz gsogt."

Na dann, dachte Strelitz, wird’s auch "...scho stimma!". Und er wusste: Am Freitag in Erfurt würde er mit den Eisheiligen kommen und der kalten Sophie als Zugabe und die würden ihn 'schoa' beschützen, denn: An seinen Schuhen konnte man ihn jederzeit erkennen. An seinen gecoverten Schuhen.

Strelitz begleitet HRK 2003: (1) Heimspiel

30. April 2003: Strelitz schaute auf seine Uhr, es war kurz vor Vier am Nachmittag und damit hatte er noch genügend Zeit bis zum Beginn des Konzertes mit dem Heinz Rudolf Kunze seinen musikalischen Neubeginn feierte. Noch Jahre später sprach man deshalb ehrfürchtig vom "Abend in Bad Salzuflen". Strelitz ging zum 'I-Punkt', der Kur- und Tourist Information und tankte Wissen über die Stadt auf.

Salzuflen wurde nach der Jahrtausendwende -der ersten- mit dem geflügelten Wort "locum salis in Uflon" erstmals als Siedlung erwähnt. 800 Jahre sollte es dauern bis die Stadt erstmals Stärke zeigte, welche die Fabriken von Heinrich Salomon Hoffmann innerhalb weniger Jahrzehnte nach ganz Europa exportierten. Pünktlich zum Beginn von Weltkrieg 'I' verlieh die fürstlich lippische Regierung der Stadt den Titel "Bad". Und man ist stolz darauf; würde man sonst jedes Jahr am 23. Mai für die Erhaltung der Solequellen beten? Weitere Höhepunkte der Stadtgeschichte gab es 1963 als die neue Konzerthalle in Bad Salzuflen eröffnet wurde und 1988 als man die 500. Wiederkehr der Stadtrechtsverleihung feierte. Und nun kam also Heinz Rudolf Kunze in die Stadt. Mit neuer Verstärkung. Und mit 'Rückenwind'.

Bremen am nächsten Tag, dem Tag der Arbeit, das war ein Heimspiel, würde ein Arbeitssieg werden - kene Frage. Aber heute Abend in Bad Salzuflen für die Lippländer zum Tanz in den Mai aufzuspielen, das war Kunst; soviel stand für Strelitz fest. Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es nun Zeit war ins Glashaus zu gehen und man würde sehen, ob es am Devotionalenstand genügend Steine geben würde. Die Frage war dann nur noch: Wer würde der Steiniger sein? Überhaupt hasste Strelitz diesen Handel mit Märchen. Aber wenigstens verstellten die Kerle sich nicht: Märchendiser - eine äußerst ehrliche Berufsbezeichnung. Leider gab es keine Steine, dafür T-Shirts mit kleinem Lautsprecher vorne drauf und hinten dem Albumtitel plus rotem Pfeil, der in Richtung Arsch führte. Daher wehte also der Rückenwind. Strelitz schaute sich um. Es gab auch noch das andere Shirt mit dem Schriftzug: "Meiner Meinung nach!". Er hatte das schon vorausgeahnt und sich selbst eines drucken lassen mit der Aufschrift. "Strelitz sagt: Keiner Meinung nach!". Schnell zog er es an und begab sich in den Veranstaltungssaal. Es war kurz von 21 Uhr.

Drinnen lief die wilde Hilde und sang den 500 Kunze-Fans ihre melancholischsten Lieder vor. Jedenfalls so lange bis es dunkel wurde und "Der Kommissar" zu hören war. Dann kam Kunze und mit ihm Ulmer und die neue Verstärkung. Blutjung die Neuen, dachte Strelitz. Alle drei zusammen noch nicht einmal so alt wie H&M gemeinsam; man wird eben nicht jünger. Neben Strelitz stellte sich eine junge Frau. Ob er Heinz kenne, wollte sie wissen. Strelitz nickte. "Das dachte ich mir schon" sagte sie "er schaut Sie nämlich die ganze Zeit schon an." Das muss am T-Shirt liegen, antwortete er und fragte "Kennen wir uns?" - "Ich glaube nicht" sprach die junge Dame zu ihm. "Na dann" sagte Strelitz zu ihr, "ich heiße übrigens nicht Strelitz...". "Und ich heiße nicht Inge" sagte sie zu ihm. Strelitz merkte, dass ihm plötzlich ganz heiß geworden war. Auch Herrn Kunze beschlug es die Brille, so heiß war es im Saal inzwischen. "Na dann..." sagte die Frau, die nicht Inge hieß und ging nach links vor die Bühne. Strelitz ging vorsichtshalber, also nicht nur, weil es seine Gewohnheit war, nach rechts.

Das Glashaus war im übrigen gar nicht aus Glas sondern eine Art Speicher mit abgeflachtem Dach und Bühne und Backstage-Bereich waren mit schwarzen Tüchern voneinander abgetrennt. Auf der Bühne versuchten einige Leuten den Sound in den Griff zubekommen; vor allem mangelte es bei den ersten drei Liedern am Gitarrensound. Strelitz empfand es als eine versteckte Hommage an Heiner Lürig und lächelte, weil: Die ungewollten Effekte sind doch immer noch die besten. Bei "Mach auf" sucht Heinz dann irgendeine 'Inge' im Saal und rief ihr zu, es helfe alles nichts, sie müsse nun mitmachen. Dann erklärte er dem Publikum, dass Liebeslieder für einen Musiker die schwersten seien und lies "Rückenwind" folgen. Strelitz kannte zwar "Rückenwind", in dieser variante aber haute es die Beine weg: Was für ein Lied! Fünf Minuten lang das Beste, was dieser Abend zu bieten hatte und kein Vergleich mit der Albumversion. Nicht enden wollende Standing Ovations waren der Lohn und Heinz wurde zum ersten Mal verlegen. Er schaute sich unsicher um, als wolle er sagen: Wo bleiben die Rinderherzen?

Insgesamt war es ein unvergesslicher Abend mit Liedern, die Strelitz noch niemals live gehört hatte oder schon lange nicht mehr. Die Besucher lagen Heinz zu Füßen und er ließ sie sich von Ihnen salben. Wenn Bremen morgen ein Heimspiel werden sollte, was war denn das heute gewesen. - Nein! Er musste sich geirrt haben: DAS heute Abend war das Heimspiel und morgen spielt Heinz Rudolf Kunze auswärts.

Während Strelitz später durch den Regen nach Hause fuhr war es ihm, als ob einen Moment lang die Frau, die nicht Inge war, auf einem Besen neben ihm ritt und winkte. Mit nur noch einem Zahn im Mund grinste sie ihn lüstern an. Strelitz lies sich davon nicht irritieren. Es war unter anderen Umständen vielleicht Walpurgisnacht und er befand sich in der Nähe des Brocken. Aber die Frau, die nicht Inge war, und sich trotzdem für ihn interessierte, diese Frau war definitiv nicht gut für ihn; vor allen Dingen aber mochte er keine Frauen mir nur einem Zahn. Strelitz hielt an. "Die Frau wird mich zugrunde richten" sprach er laut vor sich hin und dachte an die einzige Inge, die er kannte. Die war inzwischen über neunzig und lebte am Südstrand bei Hamburg. Nicht-Inge kam langsam näher geflogen. "Was willst Du?" brüllte Strelitz durch die geschlossenen Autofenster. "Mach auf!" schrieb sie mit ihrem Besen an den Nachthimmel und legte noch einen Zahn zu.

Strelitz gibt zu Bedenken: Nichts als die Wahrheit

"Ich habe Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht.
Das ist alles, was ich Dir noch geben kann.
Ich habe Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht
und nun schaust Du mich fragend an.

Die Wahrheit ist oft das Letzte,
was uns von den Lippen kommt,
meistens klärt sie alte Lügen auf.
Dabei sollte sie doch für alle Zeit
unser Lebensstandart sein,
doch das wäre wohl zu schön um wahr zu sein.

Der Mensch, der soll wahrhaftig sein,
unsere Chancen dazu sind trotzdem klein,
man überschüttet uns mit viel reinem Wein,
doch wir halten jeder Droge stand.
In der Kür sind wir voll Ehrgeiz,
unsere Wahrheitspflicht ist Anreiz,
doch den Beweis bleiben wir schuldig,
und das Schwindeln geht los.

Deshalb hab ich Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht.
Das ist alles, was zwischen uns beiden zählt.
Ich habe Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht
denn ich merke, dass Dich irgendetwas quält.

Mit weit geschlossnen Augen,
reden wir aufeinander ein,
verwahrheitlost und weit ab vom Gefühl,
das der Andere von uns
noch in sich behütet hat,
und wir sagen, dass wir es gerade deshalb tun.

Die Wahrheit klingt oft kläglich,
ihre Details sind meist unsäglich
ihre Klarheit unerträglich,
deshalb gehen wir schlecht mit ihr um.
Doch jetzt wo die Fakten sprechen,
bleibt keine Zeit mehr sie zu rächen,
die Wahrheit selbst ist das Verbrechen
und der Bote, der wird umgebracht.

Ich habe Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht.
Das ist alles, was uns beiden noch bleibt.
Ich habe Dir / nichts als die Wahrheit / mitgebracht
und unser Weg, der ist nun vorbei."

Montag, 15. März 2010

Strelitz ist: Urdeutsch

"Well, when Cupid shot his dart
He shot it at your heart
So if we ever part and I leave you
You sit and hold me and you tell me boldly
That some day, well I'll be blue"
(Charles Hardin Holley)

Als Strelitz das letzte Mal in die USA reiste, lernte er durch Zufall Shiela kennen. Nach dem Besuch des Buddy Holly Centers in Lubbock/Texas saß er nun in "Don Bighams Smokehouse" in der Buddy Holly Ave., aß ein "Lone Star"-Steak und entdeckte, währenddem er auf eine frische Flasche BBQ-Sauce wartete, an der Pinwand einen Zettel, auf dem in Deutsch "Wer übersetzt mir deutsche Briefe? In Liebe, Sheila" stand.

Nachdem Strelitz sein Steak aufgegessen hatte, rief er umgehend die angegeben Numnmer an. Sheila war der wohl größe Deutschland-Fan, den Strelitz in seinem ganzen bisherigen Leben kennen gelernt hatte. "Alle Deutschen haben viel Kraft", sagte sie zu ihm, als er ihre Frage, ob er denn tatsächlich aus Deutschland komme, wahrheitsgemäß beantwortet hatte. "Ik glaube", sagte sie, "dass der deutsche Wald Euk die Kraft schenkt. Schon seit die Zeit von die Barbaren". Auf Strelitzens Hinweis, dass es zur Römerzeit auch in Frankreich Barbaren gegeben habe, sagte Shiela bloß: "So ein Quatsch ist das. Franzosen sind anders. Das sind eben keine Deutschen und einen deutschen Wald gibt es in Frankreich auch nikt".

Sheila begann über Eichen, Buchen, Eschen und das ganze andere Waldinvemtar zu schwärmen, vor allem liebe sie den Schwarzwald, wie sie betonte. Dann kam sie zum eigentlichen Grund für das Telefonat. Strelitz, sagte Sheila, solle Briefe ihrer deutschen Brieffreundin übersetzen, die sie nicht ganz verstanden habe. Ob es so gegen sieben Uhr Abends passen würde? Strelitz sagte zu.

Irgendwie hatte Strelitz das Gefühl, dass er bei Sheila nicht erst ausgiebig Smalltalk machen müsse, bevor es zum eigentlichen Ziel eines jeden Dates übergehen würde. Sonst musste man sich als Deutscher im Ausland wie verrückt anstrengen, den Bauch einziehen, trinken, in drögen Bars oder Discotheken tanzen, mit gebildeten Mittelklassemädchen unsinnigen philosphischen Kram bereden, bevor es zum Beischlaf kam. Bei Schiela schien es zu reichen, den deutschen Pass vorzuzeigen, um mit ihr zu vögeln.

Als er sie abends anrief, um sich zu ihrem, in einem der südlichenVororte von Lubbock gelegenen Appatement durchzufragen, begrüßte sie ihn mit einem "Gut, dass du jetzt anrufst", und fügte "Ik war beim duschen und bin gerade nackt zum Telefon gerannt." Streliz dankte für die Information und fragte noch einam nach dem genauen Weg zum Appartement. Sheila erklärte es ihm und wies Strelitz außerdem noch auf Folgendes hin: "Ik habe eine Katze, die heißt Wagner", "Meine Tür entdeckst du, weil ich da dran ein Plastik-Schnitzel geklebt habe" und "Ik habe schon deutsches Bier für dich gekauft".

Strelitz war leicht nervös, als er zu Sheilas Haus ging, dann hatte er aber auch schon die Tür mit dem Schnitzel erreicht. In ihrem Appartement sah es aus wie in einem kitschigen, deutschen Museum. Sheila hatte mehrere Sofas, auf jedem einzelnen lagen mindestens drei Kissen, alle mit der Handkante in der Mitte geteilt. An der Wand hing ein Bild von einem röhrenden Hirsch und ein Poster von Schloss Neuschwanstein. Auf einem Sideboard lagen einige Bände von "Bild der Heimat"; Strelitz konnte Hefte über Berln, Hamburg, Bayern und das Ruhrgebiet erkennen. Aus einem Nebenraum kam Wagner angerannt und rieb sich an Strelitzens Bein Bein.

"Was soll ich dir kochen?", fragte Sheila. "Oder wollen wir erst ein Bier trinken?" Strelitz entschied sich für das Bier. Sheila hatte gut vorgesorgt und mehrere Flaschen "König Ludwig"-Weizenbier besorgt. Nachdem beide einige große Schlucke aus ihren Flaschen genommen hatten - Shiela war offensichtlich noch nicht ganz mit der Tradition, aus Weizenbiergläsern zu trinken, vertraut -, sagte sie zu Strelitz: "Komm, ick zeige dir meine Wohnung".

An der Wand der Küche hingen Zeitungsauschnitte wie "2:1 - So ein Tag" von 1974, "Die Mauer ist offen" von 1989 oder "So starb Graf Trips" von 1961. Sheila bemerkte Strelitzens Interesse und stellte ihm danach gleich ihr Schlafzimmer vor. An der Tür hing ein Poster von "Tangerine Dream", über dem Bett die DDR-Flagge und neben dem Schlafzimmerschrank eine Ritterrüstung, die entweder aus dem "Herr der Ringe"-Film war und einst Hobbits gedient hatte oder einfach nur für einen jungen Ritter gefertigt worden war. Rechts neben der Zimmertür hingen zwei Reh-Geweihe, auf dem einen hatte Sheila einen grauen Hut mit einem Gamsbart gehängt. Strelitz setzte sich auf das Bett, während Sheila ihren Pullover auszig. "Machst Du mal die Musikanlage an", bat sie ihn. Strelitz tat wie befohlen und schon dröhnte "Tokio Hotel" los. Sheila begann mizusingen, während sie ihre Jeans auszog.

"Schrei! - Bist du du selbst bist. Schrei! - Und wenn es das letzte ist. Schrei! - Auch wenn es weh tut. Schrei so laut du kannst!". Obwohl Strelitz bisher seinen Ausweis noch gar nicht vorgezeigt hatte, trug Sheila nun bis auf ihren Slip und den BH gar nichts mehr. Während Bill Kaulitz weiterhin schrie, schubste Sheila Strelitz auf ihr Bett.

Nachdem sie ihm die erste Ehre seines Besuches bei ihr erwiesen hatte, wischte sie die Überreste mit einer großen, weiß-blauen Serviette von seinem Bauch und sagte: "Ik hole uns erst mal einen Schnaps". Sie gab Strelitz die Flasche, was dieser als Aufforderung zum Trinken missverstand. Als er einen kräftigen Schluck nehmen wollte, sagte sie zu ihm: "Lies mir erst mal das Etikett." Strelitz drehte die Flasche und betrachtete sie. Ein Huhn war darauf abgebildet, es war echter "Nordhäuser Doppelkorn".

"Iss das mit Hühner?", fragte ihn Sheila. Strelitz klärte sie darüber auf, dass dies ein rein biologisch-alkoholisches Produkt sei, aus Korn, worauf Sheila gluckste und sagte, dass sie froh sei, dass für diesen Schnaps "keine Huhn" sterben musste. Mit jedem Wort, das Strelitz nun vom Etikett las, rückte Sheila näher an ihn heran und kommentierte Worte wie "roggenecht" mit "oohh" und "Traditionsbrennerei" mit "yeahh". Bald gingen ihre Töne in ein Stöhnen über, und sie fingerte schon wieder an Strelitz herum.

Strelitz schloss die Augen … nur, um sie Momente später wieder zu öffnen. Sheila befühlte seine Pobacken, seine Armmuskeln, seine Schenkel und sagte gurgelnd-triuphierend immer wieder: "Deutsch". Strelitz wurde etwas mulmig zumute und als sie fertig damit war, auf ihrem deutschen Ross Rodeo zu reiten, sprang Strelitz auf, nahm einen großen Schluck "Nordhäuser Doppelkorn". "Ich muss jetzt weg", sagte er, lief am Mauerfall vorbei, quer durchs Heimatmuseum, fiel bei dem Versuch, sich seine Hose anzuziehen über ein aufgeschlagenes Brockhaus-Lexikon und entdeckte, dass an der Innenseite von Sheilas Wohnungstür ein Bild von Adolf Hitler hing.

Nichts wie raus, dachte er. Als Strelitz wieder auf der Straße stand und ein Taxi rief, hörte er Sheila aus dem Fenster rufen. "Schade, dass du keine Zeit mehr hast. Komm doch morgen wieder, dann lest du mir die Briefe meiner Brieffreundin vor". "Das geht nur im Wald", rief ihr Strelitz zu, als er ins Taxi stieg, und bereute dies schon im gleichen Moment, denn Sheila würde das als Einladung nach Deutschland mißverstehen und ihn in Bälde schon besuchen kommen.


Nach einer Idee von Philipp Kohlhöfer.

Freitag, 12. März 2010

Strelitz erzählt eine: Skandinaveske

Vor langer Zeit lebte in Nordschweden in einem Dorf namens Blinxdae ein Mann, der wurde von Geburt an von allen nur ‚Böse‘ genannt. Das Leben meinte es nicht gut mit ihm, er verlor drei Finger und damit auch seine Arbeit im Sägewerk, einer seiner zwei Söhne geriet auf die schiefe Bahn, der andere fiel im Krieg und seine Frau starb kurz danach vor Gram, Böse war damals gerade Anfang vierzig. Als er die Fünfzig überschritten hatte zog er sich von seiner Umwelt zurück -seine Rente und der Verkauf eines Ackers an einen Herrn aus der Stadt sicherte ihm ein bescheidenes Auskommen-, lebte nur noch in seinem kleinen Haus und man sah ihn nur noch sehr selten im Dorf. Mit sechzig Jahren beschloss er, sein Haus nur noch in der Dunkelheit zu verlassen, kurz Luft zu schnappen und nach den Sternen zu sehen. Wenn ihn dabei jemand sah, dann ging er schnell wieder in sein Haus zurück. Deswegen sprach man über ihn in Blinxdae nur noch abstrakt, also nicht “Herr Böse hat...” oder “Böse wollte doch...” sondern man sagte: “Das Böse war heute nacht wieder mal vor den Haus.”

Die Kinder fürchteten sich vor ihm, wie Kinder eben so sind, denn es war ihnen klar, das in Blindae nachts manchmal ‚das Böse‘ unterwegs ist. Böse wurde siebzig und Blinxdae wurde im Zuge einer nordschwedischen Gebietsreform nach Groeners Enden eingemeindet. Fortan gab es zwar kein Dorf mehr, aber Böse war das egal, denn er ging nun kaum noch nachts vor sein Haus. Die Stadt Groeners Enden wuchs und wuchs und noch viel später, Böse war jetzt fast 90 Jahre alt geworden, stellte eine königliche Untersuchungskommission fest, das der seinerzeitige Stadtvater Johann Solveig Groener in seiner Jugend ein schlimmer Finger gewesen war, wohl an die fünfzehn Hexen hatte verbrennen lassen nur um Groeners Enden von allen Makeln reinzuwaschen und ein Volksentscheid noch einige Jahre später führte dazu, dass die Einwohner von Groeners Enden nichts mehr mit Johann Solveig zu tun haben wollten uns das Groeners einfach aus ihrem Stadtnamen entfernten: Ihre Stadt sollte für alle Zeiten nur noch einfach Enden heissen.

Auch dies störte Böse nicht im geringsten. Er hatte inzwischen so vieles aus seinem Leben vergessen, dass er nicht einmal mehr wusste, wieso Blinxdae vor über zwanzig Jahren überhaupt zu der Ehre kam in Groeners Enden eingemeindet zu werden. So gingen die Jahre dahin, seinen einhundertsten Geburstag feierte in kleinstem Kreis mit sich allein, denn man hatte auf offizieller Seite ‚das‘ Böse schlichtweg vergessen. Nicht einegtlich vergessen, aber der Angestellte der Statistikbehörde, der mit dem Erfassen der Hundertjährigen zu tun hatte, konnte für Herrn Böse keinen Nachnamen finden und nach dem er zwei Termine seines Vorgesetzen für die Fertigstellung der Liste hatte verstreichen lassen, ‚entfiel‘ ihm der ‚Böse‘-Vorgang und die Sache war erledigt.

Noch ein paar Winter und Sommer gingen ins Land und Böse war inzwischen einhundertundsieben Jahre alt. Da starb nahe Göteborg ein Herr Stiegelmann im biblischen Alter von 111 Jahren und ‚das‘ Böse war plötzlich der älteste Einwohner Schwedens. Eine solche Tatsache konnte nun aber keinem Statistiker mehr entfallen. Und dass der älteste Mitbürger des Königreiches nun in Enden lebte war ebenfalls nicht lange geheimzuhalten. Schon gar nicht, da dieser Mensch auch noch, nach neuesten wundersamen Nachforschungen im Königlich Schwedischen Statistikamtes, mit Nachnamen ‚Enden‘ hiess; Herr Enden aus Enden: Alter Schwede!

Also machte sich eines Tages, es war November und Böses einhundertundzehnter Geburtstag, eine Delegation mit hochrangigen Regierungsvertretern, der schwedischen Königin und dem Bischof von Mora auf den Weg zum nördlichen Polarkreis nach Enden um den ältesten Schweden zu besuchen. Und siehe da: Es war Polarnacht und Böse war im Garten und natürlich überrascht über die vielen Besucher und deshalb ging er wieder schnell in sein Haus zurück. Wie es ihn ginge, fragte ihn die Königin, ich bin Deine Königin, sagte sie noch dazu. Nicht so gut, erwiderte ihr Böse. Aber lieber Herr Böse, sprach die Königin nochmals, sie sind jetzt so alt, wie kein anderer Mensch in gang Schweden; das müsste sie doch freuen. Mich freut gar nichts mehr, entgegnete ihr Böse. Wenn meine Frau da wäre, das würde mich freuen, setzte er nach. Da sprach die Königin: “Guter Mann. Ich kann dir deine Frau nicht mehr wiedergeben, die ist vor vielen Jahrzehnten gestorben. Aber ich habe hier eine junge Frau, die ist ihre Urenkelin - die Tochter ihres Enkels, der geboren wurde, als ihr Sohn im Gefängnis war vor vielen Jahren. Und alle haben sie bis heute niemals zu Gesicht bekommen. Bitte kommen sie doch aus dem Haus heraus.

Da kam er aus seinem Haus und sie standen sich gegenüber, Böse und seine Enkelin. Und sie sah genauso aus, wie seine Frau, die vor so vielen Jahren von im gegangen war und TVS 2 übertrug die Bilder live ins ganze Land mit bis zu 61 % Einschaltquote. Am rührendsden war die Szene, als die Enkelin Böse an sich drückte und die Königin sprach: “Es wird noch, Böse Enden.” - Alle weinten. --- Wie immer wenn dieser Satz gesagt wird.

Und was folgt daraus?

Wenn er nicht gestorben ist, dann ist der älteste Schwede heute noch Böse. Aber man sollte einen Menschen eben niemals nach seinem Namen beurteilen.

Strelitz und: Die Postwurfsendung

“ПОСЛЕ НАС ХОТЬ ТРАВА НЕ РАСТИ“ / “Nach uns mag kein Gras mehr wachsen.”
[Russisches Sprichwort]

“American and United Airlines ... Flying You Straight Into Your Office”
[Faf Ybbraw auf www.faf.ghanaba.net 2001-09-20]

Keine Frage, Spams sind lästig. E-Mails noch und noch und noch schlimmer war das, was im Sommer 2001 geschah. Auch keine Frage: Es muss einfach irgend jemanden geben, der eine gewisse lose Schuld daran hatte ... und das kam so:

Strelitz hatte eine neue Internetdomain entdeckt: www.homepageteller.nl. Was auf dem Homepageteller so alles angerichtet werden konnte, das weckte zudem seine latent natürliche Neugier. Nicht unbedingt die durchaus falsch zu verstehende Aufforderung “lecker download hem nu” machte ihn zwar hungrig auf Neues, aber die Möglichkeit mit der 'WayBackMachine' von www.archive.org in die Vergangenheit zu reisen toppte die Verlockung um Längen. Zuerst sah sich Strelitz natürlich die ältesten Seiten von www.deutschland.de und www.mtv.de an (was sehr überraschend war), stieg dann auf www.whitehouse.gov um, deren Ursprünge im worldwideweb.archive beim 27. Dezember 1996 lagen.

Strelitz gab “public enemy” ein und erhielt 38 Antworten. Eine gefiel ihm besonders: "bin im Laden" (mailadress: obl@torawabora.com). Spontan entschied sich Strelitz zu antworten. Dazu musste aber eine unauffällige E-Mailadresse her. Unauffällig und nichtssagend, obwohl trotzdem überzeugend. Strelitz entschied sich dafür, eine E-Mailadresse beim größten Massenbüro der USA zu bestellen: dem World Trade Center.

Die Adresse zu bekommen war dabei einfach genug. Die Seiten des WTC in der “WayBackMachine” reichten bis zum 6. Dezember 1998 zurück. “You can instantly obtain a memorable e-mail address@ worldtradecenter.com for only US$4 month...regardless of which Internet provider you use.” Na denn dachte sich Strelitz und klickte auf die Taste “Here's how!”. Und es ging schneller als schnell. “It's fast and easy to get a worldtradecenter.com e-mail alias, but first you have to pay US$48.” Strelitz zahlte via Mastercard und durfte nur Minuten später seine E-Mailadresse selbst wählen. Er wählte cia@worldtradecenter.com. Eine Stunde später kam die Registrierungsbestätigung.

Den Text für seine erste CIA-Mail hatte Strelitz schon im Kopf. “I think I spider, you are really im Laden.” schrieb er an obl@torawabora.com. Die Antwort, die ihn am nächsten Tag erreichte war eindeutig und unmissverständlich: “Get out of this line.” Das lies sich Strelitz allerdings nicht so einfach verbieten und er schieb eine weitere E-Mail an die bekannte Adresse. “You are heavy in trouble, because we are heavy on wire.” 11 Worte, die die Welt verändern sollten. obl@torawabora.com antwortete mit nur einem Satz: “Adjust the START and END dates to limit your life to a specific timeframe.” - Strelitz bekam es mit der Angst zu tun. “Nein” schrieb er zurück und brach den Kontakt sofort ab.

Noch Wochen später rätselte man in Afghanistan über die Bedeutung der 11 Worte und dem Schlußwort ‚Nein‘, offensichtlich ein Schreibfehler der Amerikaner für “nine”. Sheik Omar wollte die Zahl 99 herauslesen; umgedreht 66 also eine Teufelszahl. Andere Mitstreiter für den Sieg des Islam wiesen auf die Bedeutung des 9. 11. In der Bundesrepublik Deutschland hin (und ahnten kaum, wie nah sie damit Strelitz vom Grunde her schon auf den Fersen waren). OBL aber entschied anders. “Sie haben uns Datum und Ort genannt.” sagte er und so geschah es.

Strelitz hatte derweil ein russisches Spamprogramm gestartet unter dem Namen ‚PutinsPudding‘. Ein Schneeballsystem sorgte in der Folge dafür, dass seine Spuren im www langsam aber sicher verwischt wurden. Es gelang ihm sogar die Zahlung für die E-Mailadresse wieder zurückzubuchen, weshalb seine Mailadresse daraufhin sofort gelöscht wurde. Übrigens genau in dem Moment, als sich OBL dazu entschieden hatte, den Ungläubigen auf der anderen Seite des Erdballs noch eine letzte Chance zu geben. “I stop the destruction, if you excuse yourself immediately.” schrieb er an den cia@worldtradecenter.com.

Strelitz gab derweil unverzüglich die Adresse der Kunze-Homepage ein und beim dritten Versuch klappte es; als “Abschied muß man üben” erschien, wusste er: Ich bin wieder zurück im Juli 2001. Erschöpft aber doch glücklich legte er sich zu Bett...nicht ahnend, dass sich Millionen und Abermillionen von E-Mailbriefkästen langsam aber sicher mit Post zu füllen begannen. Vladimir Putin war ‚not amused‘, vor allem, weil als Zweitabsender von ‚PutinsPudding‘obl@torawabora.com angegeben war. “ВСЯКОМУ ТЕРПЕНИЮ БЫВАЕТ” schrieb er an OBL, gab aber als Absender nochmals cia@worldtradecenter.com ein: “Jede Geduld hat ein Ende”.

Vier Monate später erklärte Osama Bin Laden den USA den Krieg, weil er in seinem Netzpostfach obl@torawabora.com außer Putins CIA-Nachricht keine weitere Mail erhalten hatte. Wie auch, wo CIA, NATO, der Warschauer Pakt, OECD, die OPEC und der Kreml immer noch damit beschäftigt waren ihre eigenen Postfächer zu säubern. “I hope they‘ll get the fucker.” soll OBL gesagt haben, als Anfang September 2001 zwei Flugzeuge nacheinander den Hudson entlang flogen. Kurz zuvor hatten die Betreiber des WTC Strelitz als Urheber der Spamwelle des WTC ausfindig gemacht und wollten noch am Nachmittag Rechtsanwälte damit betrauen, ihn für den angerichteten Imageschaden verantwortlich zu machen. “Der Kerl ist erledigt” sagte der Sicherheitschef des WTC. Und in diesem Moment war es Strelitz ohne es zu wissen tatsächlich. Einen weiteren Moment später aber sah die Welt schon ganz anders aus.


(Nachtrag des Autors: Inzwischen sind die Internetseiten des WTC aus der Zeit vor dem 11. September 2001 aus dem Archiv der WAYBACKMACHINE gelöscht worden!)

Strelitz ist: Lumbricus Terrestris

„I might be more happy in this Solitary Condition,
than I should have been in a Liberty of Society
and in all the Pleasures of the World."

(Daniel Defoe 'Robinson Crusoe', Kapitel 8)

Strelitzens Verwandlung zum Wirbellosen begann an einer Supermarktkasse in Stokeinteignhead, Grafschaft Devon, Südengland. Er kaufte ein paar Salatköpfe, frisch, grün, gut gewaschen, mehrere Rollen Frischhaltefolie und Gleitcreme.

Dann fuhr Strelitz zum stillgelegten Milchhof am Ortsausgang und begutachtete seine neue Wirkungsstätte im Wald: ein Matschloch, knapp einen Meter tief, drum herum wuchsen Gräser und Kräuter. Am Boden des Lochs hatte sich Wasser gesammelt, mit der dunkelroten Erde mischte es sich zu einer unansehnlichen Brühe. Morgen früh, 11. September 2004, sollte es losgehen, man hatte zu einem Kunstfest geladen und Strelitz war ausgewählt worden.

Er musste jetzt nur noch in die richtige Stimmung kommen. Neben das Matschloch stellte er sein Zelt, kochte Tee auf dem Gaskocher und schaute zum Himmel. Keine Sterne, das Wetter war so, dass es Regenwürmer an die Oberfläche treibt: regnerisch.

Am nächsten Morgen zog Strelitz eine Absperrleine um das Matschloch, zum Schutz der Zuschauer. Es reichte schließlich, wenn einer ins Loch fiel: Strelitz, der Künstler.

Er setzte sich eine Schwimmbrille auf, zog sich aus bis auf die Unterhose, legte sich platt auf die Erde und wickelte die Frischhaltefolie um seinen Körper, dass Arme und Beine kaum noch zu bewegen waren, drückte mit den Zähnen die Tube Gleitcreme über seiner Brust aus und verstrich die weißliche Paste, indem er sich langsam wälzte im Matsch.

Strelitzens äußerliche Verwandlung war jetzt vollzogen, er robbte ins Loch. Er wollte wissen, wie es ist, ein Gemeiner Regenwurm zu sein, ein so genannter Lumbricus terrestris aus der Gruppe der Wenigborster, braunviolett, von einer Schleimschicht umhüllt. Neun Tage lang.

Am ersten Tag kamen ein paar Künstlerfreunde. Sie saßen um das Loch herum, schwiegen und rauchten. Sie kannten das schon, früher war Strelitz Schlange und Nacktschnecke. Auf einer seiner Performances verband er sich mit einem Tuch die Augen und ließ sich an einer Leine von Zuschauern sechs Stunden lang, jeden Samstag, durch ein verschlossenes Zimmer jagen: als Hund.

Am zweiten Tag kamen ein paar Kinder mit ihrem Lehrer. Sie fragten: "Hallo Wurm, geht es dir gut?" Strelitz antwortete nicht. Der Lehrer sagte, ihr müsst das verstehen, Würmer haben keine Augen, sind taub und stumm. Die Kinder nickten, bald wurde ihnen langweilig und sie gingen wieder.

Am vierten Tag schien die Sonne, Strelitz grub kleine Tunnel, so, wie Würmer es tun, wenn sie sich durch die Erde wühlen und mit ihrem Kot die Wände ihrer Gänge auskleiden.

Am sechsten Tag (oder war es schon der siebte? - Strelitz verließ langsam das Gespür für Zeit und Raum) kam ein Kamerateam. Sie beugten sich über das Loch und sahen Strelitz, der gerade an einem Salatblatt aus dem Supermarkt knabberte und fror. "Erlauben Sie die Frage", sagte der Reporter, "was soll das Ganze?" - Strelitz antwortete nicht, er war es leid. Dabei ist alles doch so einfach: Strelitz wollte erleben, wie es sich anfühlt, eins zu sein mit der Erde, auf der wir leben und in die wir kommen, wenn wir tot sind. Er wollte den Unterschied erfahren zwischen Menschsein und Tiersein an dem Punkt, wo sich beide einander annähern.

Strelitz hat an der Kunsthochschule Texte von Judith Butler gelesen, Julia Kristeva, Michel Foucault. Es geht ihm um mehr als bloß um Regenwürmer. Er wollte Gender Studies im Freien betreiben, jene Theorien überprüfen, in denen es um die soziale Konstruktion sexueller Orientierung geht. Dazu eignet sich der Regenwurm, fand Strelitz, ganz gut, ein Hermaphrodit, Mann und Frau zugleich, ein Zwitterwesen. Es ging ihm um Ausgrenzung, um Qualen am eigenen Körper und darum, wie es ist, Opfer zu sein. Opfer des Menschen.

Das aber, dämmerte Strelitz, Wurm gewordener Mensch im Erdloch, war denen da oben zu hoch. Er knabberte noch ein Weilchen am Salat, versuchte sich an Erdklumpen, so, wie Würmer es tun. Die schönsten Stunden verbrachte er nachts im Zelt, trocken und warm. Am neunten Tag war alles vorbei und Strelitz erleichtert.

Auf die Frage, was er nun gelernt habe als Wurm, sagt Strelitz, dass es falsch war, als Kind Salz auf Nacktschnecken zu streuen oder Würmer in der Mitte durchzuschneiden, auf dass beide Teile davonkriechen. Erstens, sagt Strelitz, überlebe meist nur der Teil mit dem Kopf. Und zweitens wisse er nun, dass Würmer nützlicher seien als der Mensch. Weil auch viel Macht liege in der Machtlosigkeit der Wirbellosen.

Als Nächstes will Strelitz Insekt werden; welches, das weiß er noch nicht.

Strelitz erklärt: Statistik 1111

Wenn ich einmal nicht weit genug denke und ein zweites Mal viel zu weit, dann habe ich statistisch gesehen trotzdem zwei gute Gedanken gehabt.

Strelitz erklärt: Statistik 111

Wenn ich einmal zu früh sterbe und ein anderes Mal zu spät, dann bin ich statistisch gesehen zweimal gestorben.

Strelitz erklärt: Statistik 11

Wenn ich einmal abends einschlafe und morgens weiter ausschlafe, dann war ich statistisch gesehen zweifellos müde.

Strelitz erklärt: Statistik 1

Wenn ich einmal links an einem Hasen vorbei schieße und dann noch einmal rechts, dann habe ich ihn statistisch gesehen zweimal getroffen.

Strelitz erzählt: Tschi-Keis Geschichte

(... vom kleinen Mädchen vor der Tür)

Tschi-Keis glückliche Kinderzeit endete abrupt, als sie mit ihren Eltern in die schwarze Stadt zog. Mitten im tiefsten Winter fuhren sie los, der Schnee im Wald war tief, weiß und weich - Märchenschnee, extra ausgeschüttet für 6-jährige Mädchen mit viel Phantasie.

Als sie endlich aus dem Zug stiegen, fasste Tschi-Kei erschrocken nach ihres Vaters Hand und klammerte sich erschüttert daran fest. Die Stadt war schwarz, schwarzer Schnee, matschig und schwer wie Pech. Noch niemals hatte Tschi-Kei so etwas Erschreckendes gesehen. Der schwarze Schnee lag wie ein dunkler Schatten auf den Jahren, die sie dort verbrachten. Lange, lange dauerte es, ehe die Stadt für Tschi-Kei ein wenig heller wurde.

An jenem Wintertag zerbrach Tschi-Keis heile Kinderwelt in kleine Stücke, wurde zu einem zersprungenem Spiegel.

Der Vater war die ganze Woche nicht da und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Die neue Wohnung war dunkel und kalt. Die Menschen erschienen abweisend und fremde Kinder schüchterten das kleine Mädchen ein. Die Mutter ging jeden Morgen aus dem Haus und kam erst am späten Nachmittag zurück. Jeden Wochentag, 5 Tage in der Woche, holte Tschi-Kei die kleine Schwester vom Kindergarten ab und versorgte sie, bis die Mutter kam. Mit anderen Kindern zum Spielen verabreden war unmöglich und bald fragten sie auch nicht mehr.

Aus einem fröhlichen kleinen Mädchen wurde ein stilles, einsames Kind, in sich gekehrt und ernsthaft. Eine Erlösung war es, Lesen zu lernen und sich in die Phantasiewelten der Bücher zu flüchten. Wenn die Wochenenden kamen lebte Tschi-Kei zuerst auf, es schien als käme mit dem Vater das Licht zurück. Doch auch die Wochenenden verdunkelten sich immer mehr. Die Eltern stritten sich und Tschi-Kei stand dazwischen, in der Mitte auseinandergerissen und hilflos.

Eines Tages, es war inzwischen Sommer geworden in der schwarzen Stadt, machte sich die Familie wie jeden Sonntag zum Spaziergang bereit. Die Eltern begannen zu streiten und Tschi-Kei wurde vor die Tür geschickt. Sie sollte dort warten. Tschi-Kei wartete, wartete und wartete. Dem Kind schien es, als hätte es Stunde um Stunde vor der Tür gestanden. Die Sonne schien, der Himmel war blau und die Luft warm. Manchmal, wenn ein Windhauch die Chemieluft bewegte, roch es nach dem selben Sommer, den Tschi-Kei aus dem Wald kannte.

Irgendwann kam ein Junge vorbei aus Tschi-Keis 1. Schulklasse. Er sprach sie an und sie erzählten sich was. Immer noch wartete Tschi-Kei brav vor der Tür. Bis sie dann gefragt wurde, ob sie nicht auf den Spielplatz gehen könnten. Tschi-Kei mochte den Jungen, das erste Mal hatte sie in dieser fremden Stadt das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben. Die beiden Kinder gingen auf den Spielplatz und Tschi-Kei vergaß ihren Warte-Auftrag.

Später fiel es ihr wieder ein und sie eilte glücklich strahlend nach Hause. Mit Begeisterung wollte sie ihren Eltern erzählen, dass sie endlich nicht mehr so einsam sei.

Doch alles kam anders. Die Mutter empfing sie mit bösen Worten und den ersten Schlägen ihres Kinderlebens. Tschi-Kei wurde nicht angehört, nicht gefragt - niemand wollte etwas wissen.

Aber sie war schuld, sie war schuld daran, dass es ihrer Mutter schlecht ging, schuld am Streit ihrer Eltern, schuld an allem. Sie war ein schlechtes Kind. Sie trug die Verantwortung.

In der schwarzen Stadt lernte Tschi-Kei, dass sie schuld war, sie lernte, dass sie nichts wert war und dass sie nur hoffen durfte, von anderen gemocht und geliebt zu werden, wenn sie brav war.

Immer und immer wieder das zu tun, was andere von ihr erwarteten, alles dafür zu geben, damit es anderen Menschen gut ging und darauf zu hoffen, dass sie dann ein bisschen wertvoller wurde, ein bisschen weniger schlecht und schuldig, wurde Tschi-Keis Lebensinhalt. Und die immer kleiner werdende Hoffnung darauf, dass man sie eines Tages dafür auch lieben würde!

Und immer wieder steht das kleine Mädchen vor der Tür und wartet, wissend von ihrer Schuld. Doch irgendwann wird Tschi-Kei die Kraft haben, die eine Tür zuzuschlagen und die andere zu öffnen. Dann wird Tschi-Kei nicht mehr einsam sein, denn sie hat sich gefunden.

Blaue Blumen aus Hawaii

Dunkel war's der Mond schien hell,
als ein Auto blitzesschnell,
langsam um die Hecke bog.
Blumen brachte es vorbei,
Blaue Blumen aus Hawaii,
Blumen waren's für Tschi-Kai.
"Diese Blumen will ich nicht!"
Unfassbar, was Tschi-Kei da spricht;
oder ob sie vielleicht log?

Blumen brachte ich vorbei,
Blaue Blumen aus Hawaii,
Blumen waren's für Tschi-Kai.
"Kannst sie dir sonst wo hin stecken."
Ich fass' es nicht; will sie mich necken,
wie die Mädels in der 'Vogue'?

Blumen brachte man vorbei,
Blaue Blumen aus Hawaii,
Blumen waren's für Tschi-Kai.
Sag mir bitte was geschah;
einstmals war'n wir uns so nah.
Doch jetzt verschlingt mich dieser Sog.

"Blumen brachtest Du vorbei,
Blaue Blumen aus Hawaii,
Blumen wären's für Tschi-Kai.

Blaue Blumen mag ich gern,
hergebracht von nah und fern.
Doch hör mir zu und hör auf mich:
Nicht alles kommt auf meinen Tisch.
Ich nehm‘ nur Blumen für Tschi-Kei."

Drum wagte ich die Tat erneut
Und seht nur, wie sie sich nun freut:

Dunkel war's der Mond schien hell,
als ein Auto blitzesschnell,
langsam um die Hecke bog.
Blumen brachte es vorbei,
Blaue Blumen aus O-Weh,
Blumen waren's für Tschi-Kei.

Strelitz hat: Die Idee

(... inspiriert von "The Gift" von Lou Reed)

Strelitz war am Ende. Es war jetzt Mitte August und das hieß, dass er von Tschi-Kei inzwischen mehr als zwei Monate getrennt war. Zwei Monate und alles, was er von ihr hatte, waren drei mehrseitige Briefe ohne Belang und einige sehr kostspielige Ferngespräche. Gleich nach Ende der Containershow war sie nach Buxtehude zurück gegangen und er nach Jena. Zwar hatte Tschi-Kei geschworen, ihm die Treue zu halten. Auch versprach sie Strelitz, sie würde sich gelegentlich mit ihm treffen - dabei klang sie jedoch alles andere als ernst. Aber hatte sie Strelitz nicht, als sie noch im Big-Brother-Container waren, auch gesagt, man solle sich niemals aufgeben. Strelitz saugte sich an dieser Hoffnung nur zu gerne fest.

Vor kurzem jedoch hatte Strelitz angefangen, sich ernsthaft Sorgen um die Beziehung zu machen. Nachts hatte er große Mühe einzuschlafen und wenn er es dann doch einmal schaffte, überfielen ihn die schrecklichsten Träume. Sie rissen ihn wieder aus dem Schlaf, er wieder wach, wand und drehte sich unter seiner Bettdecke, denn die geträumten Erlebnisse kamen ihm nicht aus dem Sinn. Er sah Tschi-Kei, wie sie in billigem Sekt badete, den ihr irgendein gut gebauter Neanderthaler großzügig spendiert hatte. Dann sah er die Liebkosungen, die sie für den 'Big Spender' übrig hatte und auch die darauf folgenden sexuellen Ausschweifungen.

Strelitz musste dann immer hemmungslos weinen, denn dies war mehr, als sein menschlicher Verstand aushalten konnte. Alles nagte und sägte an seinem Hirn, warf ihn aus der Bahn, brachte ihn zu erst zur Weißglut und dann fast zum Wahnsinn. Nur schwer gelag es ihm, sich zu beruhigen. Natürlich waren das alles nur Träume, keine Realität. Mußte, konnte, durfte er Tschi-Kei wegen solcher Schäume mißtrauen?

Nach und nach durchdrangen Strelitz jetzt auch tagsüber de Phantasien von Tschi-Keis sexuellem Eskapaden. Ständig lutschte sie auf Dingen herum, die Strelitz niemals in den Mund nehmen würde. Sie ritt Rodeo mit ihrem Neanderthaler und sagte ihm, dass sie ihn dafür lieben würde. Die Sache war ja auch, dass kein Mensch auf der Erde auch nur annähernd verstand, wie Tschi-Kei wirklich war. Nur er, Strelitz, allein verstand sie. Intuitiv hatte er von Anfang an jeden Quadratmillimeter ihrer Psyche erfasst, und - was besonders war - Strelitz war auch der einzige Mensch, der Tschi-Kei immer zum Lachen bringen konnte. Strelitz spürte mit jedem einzelnen Haar auf seiner Haut, dass Tschi-Kei, wo immer sie auch war, ihn dringendst brauchte.

Die rettende Idee kam ihm an einem Donnerstag. Gerade hatte er für einen Hungerlohn Buckelmanns Rasen gemäht und vertikutiert, war nach Hause zurückgekommen und hatte danach in seinen Briefkasten geschaut, um nachzusehen, ob ein Brief von Tschi-Kei angekommen war. Aber im Briefkasten war nichts weiter außer einem Rundschreiben der Pro1/Nimm2/ Sat3/Halb4/Kabel5 Media AG, die sich dafür interessierte, ob er, Strelitz, im Leben irgendwelche Probleme habe. Irgendwelche? Nein, er hatte ein ganz bestimmtes Problem. Andererseits: wenn sich schon Tschi-Kei nicht bei ihm meldete, zumindest interessierten DIE sich genug für ihn, um ihm einen Brief zu schreiben.

Strelitz schaute auf den Umschlag. Merkwürdig, der Brief wurde gestern erst in München zur Post gegeben und lag heute schon in seinem Briefkasten. Das ging ja schnell, dachte Strelitz und hatte genau in diesem Moment die rettende Idee. Sein Herz hüpfte vor Freude. Wenn er schon kein Geld hatte, so brauchte er sich um gute Ideen niemals Sorgen zu machen. Schon die ganze hatte Zeit hatte er gegrübelt, wie er es anstellen sollte, ohne Geld nach Buxtehude zu reisen. Dieses Problem hatte er nun mit einem Mal gelöst: Warum verschickte er sich nicht selbst? Die Idee war ebenso absurd wie einfach. Strelitz würde sich via Hermes für 15 Euro als ganz spezielle Gepäckpostlieferung versenden und Tschi-Kei würde staunen, wenn sie das Paket öffnen würde.

Am nächsten Morgen ging Strelitz in de Stadt, um die notwendige Ausrüstung für die Ausführung seines Plans zu besorgen. Er kaufte sich Packpapier und Klebeband und natürlich einen großen, stabilen Karton, gerade richtig für eine Person seiner Statur; von Buckelmann hatte er sich zude noch eine batteriebetriebene Heißklebepistole geliehen. Dann überlegte Strelitz, was er als Minimum an Komfort und Bequemlichkeit für seine Reise vorsehen mußte. Einige Luftlöcher im Karton und etwas Wasser brauchte er, selbstverständlich auch ein paar kleine Mahlzeiten, falls es wider Erwarten doch etwas länger dauern sollte, zwei Kissen und eine Decke, eine Taschenlampe, etwas zum Lesen und zum Zeitvertreib und auf seiner Reise würde es ihm vermutlich auch kaum schlechter ergehen, wie einem Pauschaltouristen im Bus nach Mallorca. All das kostete ihn nicht viel Geld, denn fast alle Dinge hatte er ja bereits in seiner Wohnung vorrätig.

Freitagnachmittag checkte sich Strelitz selbst ein. Er schrieb sorgfältig "Oben!", "Nicht stürzen!", "Zerbrechlich" und "Fragil" auf den Karton, setzte sich hinein, verstaute alle wichtigen Dinge darin, versiegelte den Karton von innen mit der Heißklebepistole so fest es ging und telefonierte dann via Handy mit HERMES, bat darum, um drei Uhr nachmittags bei ihm erschienen um ein großes Paket abzuholen und sagte auch, dass er selbst nich da sein könne und das Geld läge neben den ausgefüllten Transportformularen.

Während er zusammengekauert inmitten des Kartons saß, versuchte er sich den überraschten Blick auf Tschi-Keis Gesicht vorzustellen, während sie ihre Tür öffnete, das Paket geliefert bekam, den Karton dann öffnete um schließlich ihren Strelitz in Persona vor sich fand. Sie würde ihn natürlich zuerst berwältigt von ihrem Glück küssen, wie sie es auch im Container immer wieder getan hatte und möglicherweise würden sie sich dann gemeinsam einen Film ansehen und kuscheln und sich ganz fest aneinander drücken. Warum nur, ging es Strelitz durch den Kopf, habe ich die Idee nicht früher gehabt? - Pünktlich um drei Uhr nachmittags ergriffen kräftige Hände sein Paket; Strelitz fühlte, wie er hochgehoben wurde, mit einem Ruck in einem LKW landete und die Reise ging los.

Tschi-Kei hatte gerade ihr Haar fertig frisiert. Es war ein hartes Berliner Wochenende für sie gewesen und sie musste sich zusammennehmen, um nicht schon allein beim Gedanken daran, das, was wieder alles passiert war, mit Alkohol herunter zu spülen. Dieses Wochenende war hart gewesen, genauso hart wie Joseph, dachte sie. Fünf Mal wollte er es in der letzten Nacht. Der Kerl war einfach unersättlich, dachte sie, so unersättlich wie ein Asylbewerber aus Burkina Faso eben sein kann, der die ganze Woche über ichts zu tun hat und seine ganze Kraft in das Wochenende investierte. Nachdem es dann endlich vorüber war, hatte Joseph zu ihr gesagte, dass er sie sehr wohl respektiere, aber - nach allem - wäre es zweifellos der Ruf der Natur gewesen und man könne sich gegen den Ruf der Natur einfach nicht wehren. Nein, hatte Joseph weiter zu ihr gesagt, er liebe sie nicht, wenngleich er natürlich eine gewisse Neigung für sie entwickelt habe. Aber schließlich seien sie doch beide erwachsen genug um zu erkennen, dass ... - Tschi-Kei dachte daran, was Joseph Strelitz doch noch so alles beibringen könnte. Aber die Zeiten mit schienen ihrer Contaierliebe schienen schon Jahre her zu sein.

Kerstin, Tschi-Keis sehr sehr sehr gute Freundin, kam durch die Eingangstür und betrat die Küche. "Oh Gott", sagte sie, "es ist alles so ätzend, da draußen". "Ich weiß, was Du meinst", sagte Tschi-Kei. "Ich bin auch noch total fertig." Sie zog den Gürtel ihrer Strickweste enger. Kerstin ließ derweil ihren Finger über einige, auf dem Küchentisch verstreute, Salzkörner gleiten, leckte ihn ab und zog ein Gesicht. "Ich soll übrigens diese Tabletten nehmen, sagt mein Doktor". Kerstin zog dabei ihre Nase in Falten. "Davon bekomme ich immer ein Gefühl, als ob es mich von oben auf den Boden klatscht."

Tschi-Kei begann sich unter dem Doppelkinn zu reiben, eine Übung, die sie neulich im Fernsehen gesehen hatte. "Gott, hör auf davon zu reden", sagte sie. "Tabletten? Neeeh." Tschi-Kei stand vom Tisch auf und ging zum Wandschrank, aus dem sie eine kleine Flasche voller rosafarbener und blauer Pillen herausholte und sie auf den Tisch stellte. "Das Zeug hier hilft. Diese Fruchtzwerge sind besser als ein kleines Steak", sagte sie zu Kerstin, während sie versuchte, ihre Knie zu massieren. "Ich schwöre Dir, ich rühre NIEMALS WIEDER einen Daiquiri an", sagte sie dann zu Kerstin, gab die Massage auf und setzte sich nahe an den kleinen Tisch, auf dem ihr Handy lag. "Vielleicht ruft Joseph ja nochmal an", sagte sie mit einem flüchtigen Blick zu Kerstin, die gerade an ihren Fingernägeln nagte.

"Nach dem gestrigen Abend, dachte ich, Du wärst möglicherweise durch mit ihm", nahm Kerstin das Gespräch wieder auf. "Er ist eher durch mit mir, wenn Du verstehst, was ich meine. Tief in mir drin spüre ich ihn immer noch“, sagte Tschi-Kei und beide mussten lachen. „Mein Gott", sagte Tschi-Kei. "Der Kerl war ja wie eine Krake. Seine Hände waren ständig überall, er hat mich gedreht und gewendet und das hörte nie auf", stöhnte Tschi-Kei, ihre Arme gestikulierend wie zur Verteidigung anhebend. Kerstin nickte wissend. "Aber es ist doch so, weißt Du: nach einer Weile wirst Du müde, gegen ihn zu kämpfen. Und schließlich tat ich am Ende nicht wirklich mehr etwas gegen ihn, keine Ahnung. Wahrscheinlich dachte ich gestern, ich wäre ihm was schuldig, wenn Du weißt, was ich meine. Aber wenn er einmal loslegt, dann findet er kein Ende. Erste Runde, zweite Runde, dritte Runde, vierte Runde ...". Sie begann sich zu kratzen, während Kerstin kicherte. "Ich sag Dir, mir ging das letze Woche genauso mit Rocco", sagte Kerstin. "Und nach einer Weile", nun beugte sie sich vorwärts und flüsterte Tshi-Kei ins Ohr, "wollte ich es dann auch, hab einfach mein Gehirn abgeschaltet ud mich gehen lassen. Acht Runden hat er geschafft. Acht Runden." Jetzt lachten beide sehr laut.

In diesem Moment läutete HERMES an der Tür des großen und sehr farbigen Reihenhauses. Als Tschi-Kei die Tür öffnete, staunte sie nicht schlecht. Der HERMES Paketbote half ihr, das Paket hinein zu tragen. Er hatte seine gelben und grauen Papierbelege zum Unterschreiben dabei und mit einem Trinkgeld in Höhe von einem Euro, das Tschi-Kei ihrer kleinen beigen Geldbörse (welche, nebenbei bemerkt, ein Geschenk ihrer Mutter war) entnahm, ging er wieder, nicht ohne sich zuvor bei den Damen verabschiedet zu haben.

"Was denkst Du, was das ist und vor allem von wem?", fragte Kerstin. Tschi-Kei stand da, kopfschütteld und die Arme hinter ihrem Körper verschränkt, schaute auf den mitten im Raum stehenden braunen Pappkarton und murmelte: "Keine Ahnung."

Im Innern des Paketes bebte Strelitz, während er den gedämpften Stimmen lauschte, vor Aufregung. Kerstin ließ ihren Fingernagel über das Klebeband streifen, das zur Mitte des Kartons lief. "Warum schaust Du nicht auf den Absender, um zu sehen von wem es ist?" sagte sie. Strelitz fühlte seinen Herzschlag stärker werden und konnte jeden einzelnen Schritt Tschi-Keis spüren. Diese ging um den Karton herum und las den sauber mit Füller geschriebenen Aufkleber. "Oh mein Gott“, sagte sie überrascht, „es ist von Strelitz!" "Das fetzt," antwortete Kerstin und Strelitz bebte vor Erwartung.

"Du könntest es vielleicht ja öffnen", hörte er Kerstin sagen und beide versuchten nun den festsitzenden Deckel anzuheben. "Uhhhhh!", sagte Tschi-Kei mit leicht ärgerlichem Unterton. "Er muss es mit Superkleber verschlossen haben." Sie und Kerstin zerrten nochmals am Deckel. "Mein Gott, da brauchst Du ja einen Presslufthammer um das zu öffnen", sagte Kerstin. Beide zogen ein letztes Mal und Kerstin sagte dann resignierend: "Man bekommt einfach keinen Halt."

Beide standen schwer atmend vor dem Paket. "Warum holst Du Dir keine Schere?" fragte sie Tschi-Kei. Die ging in die Küche, aber alles, was sie dort fand, war ein Paar Nagelscheren. Dann erinnerte sie sich aber daran, dass ihr Vater im Keller eine kleine Ansammlung von Werkzeugen bereit hielt - für alle Fälle. Sie lief schnell nach unten und als sie wieder nach oben kam, hielt sie triumphierend eine große Gartenschere in ihrer Hand. "Das ist die beste, die ich finden konnte." sagte sie und Strelitz konnte Tschi-Kei dabei schnaufen hören. "Hier, mach Du es für mich", sagte sie zu Kerstin, "ich bin ganz außer Atem." Tschi-Kei lies sich erschöpft auf die große weiche Couch sinken und atmete dabei laut hörbar aus.

Kerstin nahm die Gartenschere und versuchte einen Schlitz zwischen dem Klebeband und dem Ende der oberen Pappklappe zu machen. Aber das mißlang, denn die Schneide der Schere war zu groß und es gab nicht genügend Raum, sie richtig anzusetzen. Nun ging Kerstin auf die Knie. "Verfluchte Sscheiße", sagte sie, zu Tschi-Kei blickend. Aber dann lächelte sie. "Ich habe eine Idee". "Was denn?" fragte Tschi-Kei und hob interessiert ihre Augenrauen. "Schau's Dir an." sagte Kerstin und berührte dabeimit der Gartenschere leicht den Deckel des Kartons.

Im seinem Innern war Strelitz nun so aufgeregt, dass er kaum noch atmen konnte. Auf seine Haut fühlte er aufgrund der Hitze im Karton lauter kleine Pickel und er glaubte, seinem Herzschlag bis in seinen Kopf verfolgen zu können. Gleich würde die Überraschung perfekt sein.

Kerstin stand auf, ging um das Paket herum, begutachtete es hier und da, ganz so, als wolle sie eine ideale Stelle finden, für das was sie gleich zu tun beabsichtigte. Dann lies sie sich nochmals auf ihre Knie sinken, umgriff die Gartenschere fest mit beiden Händen, holte tief Luft ... und rammte dann das lange Scherblatt durch die Mitte des Pakets, durch das Packpapier, durch den Deckel, durch die Pappe, durch die Polsterung und genau mitten durch den Kopf von Strelitz, aus dem, erst gemächlich, dann immer stärker pulsierend, mehrere kleine rote Fontänen durch den Deckel des Paketes in die Luft stiegen, um sich dort langsam durch die Schwerkraft in winzig kleinen Bögen gekrümmt zum glänzed gefliesten Küchenboden zurückzubewegen.

Tschi-Kei und Kerstin schauten sich das Schauspiel ebenso ungläubig wie fasziniert an. Als es dann beihnahe zu Ende war, sagte Kerstin zu ihrer allerbesten Freundin: „Ich muss sagen, da hat sich Strelitz aber wirklich Mühe gegeben.“ „Ja“, sagte Tschi-Kei. „Das sieht ganz nach ihm aus.“ Und ein letztes Mal vermischten sich Strelitzens kleine roten Fontänen mit der Montagmorgensonne zu winzigen aber wirklich herrlich anzusehen rotglitzernden Kaskaden.