Donnerstag, 11. März 2010

Strelitz und: Der Gollum aus Lego

Lukas, der Fünfjährige, auf den aufzupassen Strelitz vor einigen Jahren seinem Freund von Greenpeace versprochen hatte, war inzwischen in die Pubertät gekommen. Jedes Mal, wenn Strelitz ihn sah, war TEN YEARS AFTER für ihn keine Rockband aus den Siebzigern mehr, sondern die Erinnerung an sein Erlebnis mit dem unvergessenen Waldo Jeffers - Gott habe ihn seelig -, dem er dank seiner Geistesgegenwart unverletzt entkommen war, was man durchaus mit dem Adjektiv 'glücklich' bezeichnen kann.

Überhaupt hatte sich viel verändert in den letzten Jahren. Strelitzens Freund war inzwischen verbeamteter Staatssekretär im Umweltministerium geworden, zuständig für die Rückführung von afrikanischen Wanderdünen, währenddem sein Sohn im Internet Rollenspiele für eine Sexy Website entwickelte, die sich "Sesams Straße" nannte und auf Strelitzs Rückfragen hierzu äußert gereizt reagierte. Strelitz selbst war vom Fußfetischismus umgestiegen auf asiatische Massagen, blieb den weiblichen Füßen aber trotzdem noch verbunden, denn er lies seinem Rücken ab und an im Hinterzimmer des 'Dr. Wok' durch geschickte Fußmassage von Tschi-Kei, die immer noch als Bedienung im Jade-Pavillion arbeitete, Linderung angedeien. Heute aber war Strelitz dort nicht eingekehrt, denn er frönte im Hause seines Freundes einer Passion aus Kindertagen: dem Modellbau mit bunten Kunststoffsteinen.

"Na, Onkel Strelitz", sagte Lukas zu ihm, ohne den Blick vom Plasma-Bildschirm zu nehmen. "Baust Du immer noch an Gandalf, dem Grauen? Oder ist es heute Gandalf, der Weiße?" Strelitz ignorierte solch provozierende Fragen, musste sie aber gleichwohl ertragen, denn es waren ja nicht seine Kunststoffsteine, die er aus dem Speicher nach unten in den Keller des Hauses seines Freundes trug. So viele Legosteine hatte der inzwischen fünfzehnjährige Lukas im Laufe seines Lebens Weihnachten für Weihnachten von seinem Vater erhalten, dass sie inzwischen sechzehn Kisten auf dem Speicher füllten. Seit zwei Wochen schon schleppte Strelitz die Steine nach unten, verbaute sie zur Felsenfestung 'Minas Tirith' und dem Feuerberg im Herzen von Mordor, zum Auenland und anderen Orten Mittelerdes und hielt sich dabei streng an die Angaben in J.R.R. Tolkins Almanach, den er eines Tages eher zufällig in Lukas Zimmer gefunden hatte.

In den letzten Wochen war auf diese Weise im Keller des Hauses ein richtiges 'Herr der Ringe'-Wunderland entstanden und seit einigen Tagen bastelte Strelitz nun an den einzelnen Protagonisten der Fantasy-Sage. Frodo, Streicher, Sam und Bilbo waren entstanden, Saruman, Legulas, die Elbenkönigin, die Ringgeister und ... Strelitz stutzte. Wieso wusste Lukas, dass er gerade an Gandalf baute? Und wieso konnte der Rotzlöffel unterscheiden, ob es Gandalf, der Graue oder Gandalf, der Weiße war? Strelitz ahnte etwas, das er nicht näher beschreiben konnte, aber die Kraft der Ahnung zog ihn mit Macht nach oben in Richtung von Lukas Zimmer.

Auf Zehenspitzen, um ein Dielenknarren auf der Treppe zu vermeiden, schlich er sich in den zweiten Stock, ging vorsichtig zur fast geschlossenen Zimmertür, spähte durch den Spalt hinein. Lukas saß wie immer vor dem Bildschirm seines Computers, hatte seinem Joystick in der Hand und steuerte, soviel konnte Strelitz auf dem Monitor erkennen, eine Kamera behutsam durch eine Landschaft von ... Legosteinen. Kein Zweifel: Es war seine, Strelitzs, Tolkienwelt aus dem Keller des Hauses. Und er sah noch mehr. An der Wand hinter dem Plasma-Bildschirm hingen Poster für eine Webseite namens www.lego.tv mit dem anspruchsvollen Untertitel "Die Entstehung von Mittelerde - Schau live und online dabei zu!".

Mit einem Mal war Strelitz alles klar: Lukas hatte ihn dazu gebracht im Keller eine Fantasywelt zu bauen und vom ersten Tag an alles via Kamera im Internet übertragen. Gerade wollte er entrüstet die Tür zu Lukas Zimmer aufreißen und diesen entrüstet zur Rede stellen, da fiel Strelitz ein weiteres Poster an der Zimmerwand auf. "Asiatische Massagen Webcam" war darauf zu lesen und Strelitz erkannte unschwer, wer sich da nackt und entspannt unter Tschi-Keis Füßen befand. Jetzt dämmerte es ihm. Es wurde ihm klar, warum ihn die Kids auf der Straße seit einigen Tagen so nett gegrüßt hatten und warum Tschi-Kei sich in letzter Zeit vor der Massage aufwendig schminkte.

Er, Strelitz, war unfreiwillig zu einem Internetstar geworden. Oder wie Lukas es benannt hatte: "Schau in 'Sesams Straße' zu, wie sich der der Gollum aus Lego entspannt. Im Jumbo-Abo für nur 9 Euro 99 im Monat. Diskret und garantiert nicht gestellt."

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