Dienstag, 9. März 2010

Strelitz und: Das eine Bein

(...nicht nur im Gedenken an die Beine von Alex Zannardi geschrieben...)

Wenn ein Mensch ein Bein verliert, dann entweder durch Kriegseinwirkung, einen Motorradunfall, Betreiben eines Extremsportes, Diabetis oder auf dem Lausitzring, dachte Strelitz.

Und dann war Strelitz eines NAchmittags auf dem Nachhauseweg von einer Protestveranstaltung gegen die Verschlechterung der Umweltbedingungen der "Kleinen Hufeisennase", einer Fledermausart die vom Aussterben bedroht war. Vom Absterben bedroht war derweil auch sein linkes Bein ... dies zu wissen blieb Strelitz allerdings vorenthalten. Er erinnerte sich später zwar noch an jede einzelne Kleinigkeit der Protestveranstaltung und an seinen Nachhauseweg. Dass Herr Ertel seine Natur-Ranger optimal auf die Bedürfnisse der Hufeisennase eingestellt hatte, dass er selbst nach dem Besuch der Veranstaltung sein zuvor gekauftes Glas Nutella vermisst hatte, dass er an das vermisste Glas utella dachte, als er die Straße überqueren wollte, dass da plötzlich dieses merkwürdige Quietschen zu hören war, das ihn bis heute nverfolgt: Gummi auf nasser Strasse.

Aber als er das Quitschen zur Kenntnis nahm, da hatte es ihn schon erwischt. Später erzählte man ihm, dass ein Auto in der Kurve auf den Gehweg gerutscht sei, gegen eine Straßelaterne donnerte und leider Strelitzs Bein dazwischen war. Er selbst ist wohl nur kurz ohnmächtig, wacht auf, in den nassen Büschen liegend. Leute stehen um ihn herum, er erinnert sich an die Stimme einer Frau: "Mein Gott, das sieht ja furchtbar aus." Da schießt es ihm durch den Kopf: "Es tut gar nichts weh; dann muss etwas ganz Schlimmes passiert sein. Vielleicht bin ich gelähmt." dachte er. Dann wurde er erneut ohnmächtig.

Nach tagelangen Koma wachte Strelitz schließlich auf. Neben dem Bett waren seine Eltern und die versuchen ihm beizubringen, dass man ihm ein Bein habe amputieren müssen. Da antwortete Strelitz nur: "Ich weiß." - Weder Mitleid noch Selbstmitleid wollte er damals. "Es ist halt so wie es ist!", redete er sich immer wieder ein und er war auch nett zu der älteren Dame, die ihn drei Mal besuchte.

Sie hatte das Auto gefahren und man rät Unfallverursachern eben oft, das Opfer zu besuchen, damit die eigene Schuld besser verdaut werden kann. Sie hätte die Kontrolle über das Auto verloren, sie wisse nicht wieso und es täte ihr unendlich leid, alles. Vor allem DAS mit seinem linken Bein. Strelitz dachte, welches linke Bein meint die? Ich sehe keins, und war trotzdem recht nett zu der Dame, obwohl er mächtig wütend war auf sie.

Seine Wunde wollte nicht verheilen und der Arzt gab ihm rgendwann kein Morphium mehr, damit er nicht süchtig wird. Manchmal waren seine Schmerzen nicht auszuhalten; Momente an denen Strelitz an mehr dachte, als an ein weiteres Leben ohne Bein. Und dann musste er noch ein zweites Mal amputiert werden. "Herr Strelitz", sagte der Arzt zu ihm, "Sie müssen dieser zweiten Amputation zustimmen, sonst sterben Sie vielleicht." Also gab er grünes Licht dafür, auch sein gutes Bein zu versauen. Haut wurde gebraucht, gute Haut von einem guten Bein. Haarige gesunde Haut von einem haarigen gesunden Bein. Und das war’s dann auch schon gewesen. Natürlich stieß das schlechte Bein die gesunde Haut ab, wollte sie nicht haben. Und das gesunde Bein sah verheerend aus mit seinen kahlen, vernarbten Stellen.

Heute gehört die Prothese zu Strelitz wie früher sein gesundes Bein. Niemand merkt etwas und wenn, dann denken alle, er habe sich den Fuß verstaucht oder den Zeh gebrochen. Gut, nach acht Stunden Laufen schmerzt die Haut am Stumpf und manchmal entzündet sie sich. Und in zwanzig Jahren macht vielleicht das vom Absterben bedrohte Bein nicht mehr mit und er muss im Rollstuhl sitzen. Aber bis dahin ist er kein Behinderter. Bis dahin ist Strelitz ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht. Und wenn ihn einer fragt, was er die letzten fünf Jahre gemacht hat, dann sagt Strelitz bloß ...

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