Mittwoch, 10. März 2010

Strelitzens Kreuzzug -Teil 1 und 2-

Als Strelitz aufwachte lag er auf dem Boden eines dunklen Raumes in dem es verfault und moderig roch. Was ihn geweckt hatte, war das Geräusch einer Tür, die sich aber nur schwer öffnen lies. Mit einer Fackel leuchtete irgend jemand in das Dunkel und Strelitz sah, dass er sich wohl in einem Verließ befand. Mehrere Männer, die wie römische Soldaten aus alten Hollywood-Filmen aussahen, packten ihn und zogen ihn nach draußen. Er bekam einen Schlag in seinen Magen und die freundliche Aufforderung nach oben ins Freie zu kommen. Dort sah Strelitz, dass er sich in den Soldaten wohl nicht geirrt hatte, denn um ihn herum sah alles so aus, wie er sich schon immer ein römisches Kastell vorgestellt hatte. Es war sonnig und heiß und staubig. Für einen kurzen Moment atmete er erleichtert durch, denn er glaubte in der Ferne Kurt Felix gesehen zu haben. Aber bevor er sich freuen konnte trat ihm schon wieder ein Fuß schmerzhaft in die Seite. Man warf ihn in eine Wasserlache und übergoß ihn mit einer stinkenden Brühe. ”Es geht los”, sagte jemand zu ihm und eine Peitsche forderte ihn auf sich zu erheben. Als er stand saher, dass man auch noch einen anderen Unglückseligen in die Mittagssonne geschleppt hatte. Der war genauso schmutzig wie er selbst, übel zugerichtet und an seinem Bartwuchs war zu erkennen, dass er wahrscheinlich auch lange Zeit in einem Kerker zugebracht hatte. Beiden wurden die Augen verbunden und man warf sie in einen vergitterten Karren.

Als sich das Fahrzeug in Bewegung setzte, versuchte Strelitz ein Gespräch mit seinem Mitfahrer zu führen. ”Bist Du schon lange hier?” fragte er ihn. ”Viel zu lange” antwortete der ihm. ”Wer bist Du?” fragte Strelitz. ”Jesus Kilian werde ich genannt. Und wie heißt Du, mein Freund?” ”Ich?”, sagte Strelitz. ”Nun, ich glaube, man nennt mich Strelitz von Nazareth.” ”So also, mein Freund, wird sich heute unser beider Schicksal erfüllen”, antwortete ihm Jesus Kilian und Strelitz versuchte sich krampfhaft an 'Das Leben des Brian' zu erinnern. Ging die Geschichte da gut für Brian aus - oder vielleicht für Jesus? Einen gewaltigen Unterschied gab es jedenfalls: Hier und heute hieß niemand Brian.

Der Karren hielt an. ”Via della Rosa! Bitte aussteigen”, rief einer der römischen Soldaten mit gespielt witzigem Unterton und seine Leibstandarte brach in gröhlendes Gelächter aus. Jesus und Strelitz stiegen aus. Als man ihnen die Augenbinden abnahm sahen sie, warum die Straße so genannt wurde. Auf einem Haufen geworfen, lagen dort Dornenkronen in verschiedensten Größen. ”Sie dürfen sich selbst eine aussuchen...”, sagte ein anderer der römischen Peiniger mit dem gleichen witzigen Unterton wie der Soldat zuvor und fuhr dann fort ”Jeder aber nur eine!” Die Soldaten schmissen sich fast weg vor Lachen.

Neben der Dornenkrone bekam jeder der beiden noch ein Kreuz zum Tragen und Jesus sagte zu Strelitz: ”Ich habe die Nase voll; immer zu. Das kommt von meiner Kreuzallergie.” ”Mir geht es ähnlich”, antwortete ihm Strelitz währenddem sie ihre Kreuze nach oben zum Golgatha schleppten. ”Bei mir ist es die kaukasische Flügelnuß, die mir Nasenschmerzen bereitet. Man braucht schon geschickte Finger um das Letzte aus sich herauszuholen. Und wenn nichts mehr hilft, dann nehme ich Schnupftabak. Ich habe sogar schon eine Geschichte darüber geschreiben”, sagte Strelitz. ”Das ist ja interessant”, sprach da Jesus, der unter seiner Last schon mächtig schnaufen musste. ”Ich nehme auch Schnupftabak, aber auf die Idee eine Geschichte darüber zu schreiben, bin ich dabei noch nicht gekommen. Ich muß wohl die Zusammensetzung meines Schnupftabaks noch einmal überdenken. Überhaupt muß ich noch so vieles im Leben machen. Alles ist halb angefangen und dann nicht zu Ende gebracht. Es fehlt einem ständig an Zeit.” ”Ich kenne das”, sagte STrelitz und schon waren sie oben auf dem Hügel angekommen.

”So meine beiden Herren”, sprach sie ein Hüne im roten Gewand an, ”ich bin Goalgetter, ihr Hügelbeauftragter. Sie wissen, warum sie heute hier sind?” ”Keine Ahnung” und ”Nicht, das wir wüssten”, antworteten Jesus Kilian und Strelitz von Nazareth unisono. ”Um so besser.” fuhr Goalgetter fort. ”Das macht alles ein bißchen einfacher.” Er drehte sich zu den Soldaten und den inzwischen schon zahlreichen Schaulustige um. ”Hat irgendjemand hier noch etwas zu sagen oder drfen sich die beiden Herren in ihr Schicksal fügen?” Jesus meldete sich. Überrascht schaute in Goalgetter an. ”Also, ich will ja nicht drängeln”, sagte Jesus, ”aber ich möchte noch eine längere Rede an die hier Anwesenden halten, und noch einmal so richtig heilen und helfen.” ”Hier ist niemand weder anwesend, noch abwesend oder verwesend”, stellte Goalgetter klar und die Menge grölte. ”Jedenfalls bis jetzt. Aber: Entschuldigung, der Herr, ich hatte sie unterbrochen.” Nun sprach Jesus wieder zum Volk. ”Jedenfalls möchte ich vor meinen Tode noch einmal so richtig heilen und helfen. Und wenn man mich auf meine Problemzonen festnageln will, dann würde ich es begrüßen, wenn der Kelch an mir vorübergeht und mein Vater mich nicht verlassen würde.” Jetzt trat auch Strelitz von Nazareth vor. ”Wenn ich, mit Verlaub, auch einmal etwas sagen dürfte?” Der Hügelbeauftragte war gnädig und Strelitz durfte loslegen.

”Vom wissenschaftlichen Standpunkt her betrachtet, ist diese Situation hier und jetzt gar nicht existent; dies als kleine Bemerkung vorweg. Wieso und warum ich - und ich spreche hier ausschließlich für mich selbst - heute hier in diese Situation hineingeraten bin, vermag ich weder zu begreifen noch zu kommentieren. Anschauen tue ich es mir aber, damit ich später einmal darüber schreiben kann. Ansonsten bin ich ein alter Mann, der schon alles erlebt hat und nichts mehr vom Leben erwartet. Wenn ich denn ans Kreuz geschlagen werden sollte, dann bitte kurz und schmerzlos. Mehr habe ich nicht zu sagen.” ”It’s eleven A.M.”, rief eine elektronische Stimme und Strelitz musste daran denken, dass seine eigen sprechende Uhr zuhause, vor einiger Zeit angefangen hatte zu lispeln, was ihn nun sehr beunruhigte. Hatte vielleicht sie ihm das alles hier eingebrockt? ”Dann will ich einmal nicht so sein”, sprach da Goalgetter. ”Sie beide haben jetzt genau noch eine Stunde Zeit um sich zu einigen, wer ans Kreuz kommt und wer für heute noch einmal verschont wird.” Während dem er dies sagte, bildeten die Soldaten einen Kreis um die Beiden Totgeweihten.

”Also ich für meinen Teil bin ratlos” sprach Jesus Kilian. Beide schauten sich an. Da machte Strelitz von Nazareth einen Vorschlag. ”Es hat keinen Sinn, sich irgendwelche Gedanken zu machen oder Sünden zu bekennen. DAS wäre nun wirklich verschwendete Zeit. Wir sind in der Antike, oder jedenfalls in so etwas ähnlichem. Warum erzählen wir uns keine Geschichten. Ich meine Kilian- und Strelitz-Geschichten.” ”Das ist eine hervorragende Idee”, sagte Jesus, ”ich bin nämlich der geborene Geschichtenerzähler.” Beide setzten sich im Kries auf die Erde. ”Dann fang Du an”, sagte Strelitz und Jesus Kilian begann zu erzählen.

Er erzählte die Geschichte: WO SOLL DAS ALLES ENDEN?

Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen?

Alp-Ent-Räume, anorganische Mingvasen, aquapanische Flugschiffe! Untergebracht in den abflauenden Windungen meines Gehirns. Geboren aus Ruinen aber gezeugt im Wohlstand. Ein Aufguss von Dürers Apokalypse gemischt mit Dalis Geistesblitzen und plastifiziert in Günther von Hagens Körperwelt in der sich Bruegels Geschöpfe mit den Rolling Stones paaren. Der Gorilla vor meiner Tür rüttelt immer stärker daran, drückt die Klinke auf und ab und gibt Töne von sich, die an Zweideutigkeit kaum etwas zu wünschen übrig lassen.

Wo ist mein Nachtgebet, das mich in meiner Jugend vor dem heißen Atem der Hexen schützte? Wo sind meine Flugbahnen durch grün-gelb-rote Milchstraßen, die ich sah, wenn ich als Kind nur fest genug auf meine Augen drückte. Wo die schwarze Sonne am Ende der Reise? Jede Ader der Augen bildete sich ab, jede Verästelung war exakt zu erkennen. Es tat höllisch weh aber es war Cyberspace, besser ausgedrückt Leiber-Space und das lange bevor William Gibson Flatlines in der Villa Straylight hinterlies.

Aber es war ein erster Weg zur Erkenntnis, jener süßen Frucht abgrundtiefer Kletterpflanzen, die einen Geist erst umschlingen, um ihn dann zu erdrücken und später auch noch zu durchästeln. Das alles zwar für einen guten Zweck, aber wo bleibt da die Reinheit des Gewissens?

Oder hat das alles mit meinem Namen zu tun: Strelitz, der kopflose Ire, der in Deutschland fast schon zu Halb-Irren gestempelt quasi als Zugabe Kilian in Nachnamen führen darf. Unveränderliche Kennzeichen keine, außer kopflosem Größenwahn. Der maximale Killer, der sich der KillArt verschreiben hat -nicht der RennArt- und diese anwendet um permanent die Zeit totzuschlagen. Und: Zeit schlägt man nicht einfach tot. Jedenfalls nicht SO einfach.

Kannst Du mir noch folgen? Ich fragte Dich lediglich: Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen?

Das waren noch Zeiten, als Saunabesuche mit der Jugendleiterin das Höchste der Gefühle waren, oft durchdacht bis ins letzte Detail aber niemals zur Exekution gebracht, denn: Wie sag ich‘s meinen Eltern? Vor allem die Zeit der geistigen wie körperlichen Abwesenheit, die zu erklären mir damals noch die Worte fehlten und als Folge kam es eben nicht so weit.

Später dann, als erste blonde Haare in meiner Suppe waren, ließ man sich fallen ohne Netz und doppelten Boden. Der Aufprall war hart, doch was Strelitz nicht umbringt macht den nächsten Aufprall um so härter. Da will man jemandem eine un-heimliche Freude machen und holt ihn ab und stellt fest, dass jemand schon abgeholt wird und man kommt sich vor, wie bestellt und eben nicht abgeholt, doch die Situation holt einen ein und stellt ab auf das alte Kreidler-Thema ”Des einen Liebesfreud, des anderen Leid.”

Und weiter ging es im munteren Reigen, zwar lange nach Schnitzlers Jagd aber auch noch lange bevor uns Tom und Nicole vormachten, dass man ES auch mit weit geschlossenen Augen erleben kann, wenn man will und man will immer, denn die Liebe ist eine SimmelsMacht, vom Grunde her zwar ohne P und N dafür aber für manche auch ohne S und M; andersdenkende sollte man da nicht ausschließen.

Ich bin mir sicher, es gibt mehr Menschen, die Vorlieben für jegliche Arten von Körperausscheidungen haben, aber heute eher auf den Geist setzen als sich, wie früher, auf etwas anderes. Goodbye Tom, farewell Nicole.

Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen? Wie sollte ich reagieren, wenn die Frau, mit der man als erste im Leben etwas hatte, plötzlich an der Kasse sitzt und einen anschaut, als wäre man der letzte Mensch, nur weil man dort mit der Frau steht, die einem jetzt zugetan ist und es sich herausstellt, dass beide sich kennen von ihrer Ausbildung und ohne es zu wissen mit einem jahrelangem Abstand die gleichen Interessen hatten.

Ach, schwanger war die damals auch und hat dann die Ausbildung beendet. Sehr schön! Das sind ja Aussichten. Schlaflose Nächte in dunklen Gedanken an vergangene Zeiten, die einen jetzt einzuholen drohen. ”Hast Du aufgepasst?” - Meine Antwort hatte zwei Buchstaben zuviel. Aus Spaß wurde Ernst; Ernst ist heute drei Jahre alt. Aber: Sie hatte doch kein Kind bekommen und erwartete somit nicht zuviel von mir.

So endeten die schlaflosen Nächte und das alles nur, weil ein Mann trotz Verdrängung partnerschaftlicher Risiken und Nebenwirkungen doch noch so etwas wie Anstand im Körper haben kann. Wenigstens etwas! Und ein flaues Gefühl im Bauch hilft erahnen, was anderswo ertragen werden muss.

Ja ich gebe es zu: Ich wäre gerne Herr der Lage. Mein eigener Herr sozusagen und zwar uneingeschränkt und grenzenlos, eher noch post-uneingeschränkt und nach-grenzenlos. Am besten unter den Bedingungen und konkreten Auswirkungen vorgefasster Intuitionen - präziser beschrieben, möchte ich mich den amoristischen Amoureusen verpflichteten und will diese in afrodiatikanischen Aphorismen artikulieren um so den seit Jahrhunderten relativ gleichgebliebenen Ineffizientskoeffizienten der Verblödung durch gezielte Vermehrung von Versmaßen in seiner Breitenwirkung zu begrenzen. Als Zwischenlösung würde ich eine zeitlich begrenzte Entkopplung von Liedgut und gutem Lied akzeptieren.

In diesem Zuusammenhang ist es wahrlich nicht lustig, in einem Konzert seinen Namen zu hören und dann auch noch falsch zitiert zu werden.

Ja, ich bin die Jeanette ... hallo. Und seitdem ich bei meiner Dozentin erwähnt habe, dass ich am Kindergottesdienst mitwirke, frißt die Frau mir aus dem Hand. Das ist so genial. Immer wenn es Stress gibt, erzähle ich vom Kindergottesdienst, dass ich da noch was vorzubereiten habe und die Frau ist wie ausgewechselt: Also ich glaube an die Macht der Religion.

Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen?

Wahrscheinlich denkst Du Dir eh nichts dabei, wenn Du in Persona gleich drei Schicksalsgöttinnen gibst, als Klotho den Faden spinnst, ihn als Lachesis bemißt und als Atropos abschneidest. Moiré: Feines Garn, das muss man Dir lassen. Aber schlampige Verarbeitung. Manchmal denke ich: Da kam dem großen Meister wieder mal ein Quasar oder eine Gravitationslinse dazwischen und plötzlich mußte alles ganz schnell gehen. Egal, wie lange der Faden ist, schnell durchgerissen und das war‘s!

Als Slathibartfaß warst Du eine paar Momente lang wirklich richtig gut. Aber dann bist Du entgegen aller Versprechen wieder in den alten Trott verfallen und hast Deine Arbeit nicht gemacht, stattdessen den ganzen Tag am Computer gesessen und Deine Me-Moiren geschrieben, die eh keinen interessieren, da sie am Thema vorbeigehen. Und am Ende Deiner Tage denkst Du: Hoffentlich hat es keiner gemerkt, wie faul ich gewesen bin. In meiner Position konnte ich mir das erlauben. Aber der Gott, der nach mir kommt, wird auch schon merken, wie öde und langweilig es ist, ein Gott zu sein, ein richtig guter, und er wird auch schon darauf kommen, wie es so läuft. Wenn DAS stimmt, höre ich die Menschen sagen, ist das die größte Entdeckung seitdem Heisenberg im Alter von fünf Jahren entdeckte, dass die Erde eine Kugel ist.

Vielleicht hilft es der Menschheit ja zu begreifen, wie viele Dinge es zwischen Himmel und Erde, zwischen Weltall und Molekularität gibt, von denen sie nichts ahnten obwohl sie das meiste schon immer geahnt hatten. Dunkle Mächte, die alles an sich ziehen; Götter, die im Himmel wohnen; Bremswirkungen im freien Raum; die Sonnenwende. So etwas nenne ich instinktive Instinktlosigkeit. Wer Augen hat zu sehen...

Aber das wird alles noch getoppt durch die gespielte Ahnungslosigkeit von uns Menschen in Bezug auf unser Wasser. Frank Herbert gab instinktiv schon den richtigen Hinweis: Weitaus die meisten Objekte im Weltall sind Sand- oder Kältewüsten. Unsere Erde dagegen hat das, was alle wollen und brauchen: Wasser. Jeden Tag geht genügend Wasser durch die Kloschüsseln unserer Welt um andernorts zehn Welten zu Ruhm und Wohlstand zu verhelfen. Es ist doch klar, woher Leben kommt, wohin es ging und wo es jetzt ist. Richten wir uns also darauf ein, dass uns für alle Zukunft der Kampf um das Wasser bevorsteht. Warum es uns noch niemand genommen hat? - Blöde Frage: Weil man nicht gleich jede Chance, die sich einem bietet, auch annehmen sollte.

Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen? Ich weiß: Das Ende findet hier auf unserer Erde statt. Dann, wenn der Schläfer erwacht. Auch hier hatte Herbert recht, auch wenn er vom Doppler-Effekt der Zeit nichts ahnte. Ab diesem Moment werden sich die Zeiten ändern, dann ist unsere Erde wieder da, wo sie vor Tausenden Jahren vorher schon war: Im Mittelpunkt des Universums. Und alle werden auf sie schauen!

Wo, mein Gott in aller Welt, hast Du diese Ideen für mich hergenommen...

...und wo soll das alles enden?

”Nicht schlecht”, sprach Goalgetter. ”Das gefiel mir außerordentlich gut. Übrigens, ich kenne Deinen Vater. Schlauer Kerl! Hat früher mal, glaube ich, für "Die Erde" fünf Golden Globes bekommen sollen. Aber er hat sie trotzdem nicht eingetauscht.” Goalgetter schaute Strelitz an. ”Jetzt bist du an der Reihe.” sagte er.

Und Strelitz sprach: DIE AUSSTELLUNG IST SCHNELL ERZÄHLT

”Die Plastination des Echten” - Wann geht man zu dieser Ausstellung? Gute Frage. Jetzt ist sie ja Tag und nacht offen und die Schlangen am Eingang dadurch nur noch halb so lang, zudem abhängig vom Zeitpunkt des Besuches.

Nacht um vier Uhr, sagte die nette Berlin Eins-Reporterin, hätte man nur zwanzig Minuten zu warten und Herr Robbe sprach gar von nur zwei Minuten Wartezeit am Montag morgen um viertel sechs. Ich gehe am Montag abend hin um halb zehn. Die S-Bahn rumpelt Richtung Alex und dann zum Ostbahnhof. Der ”Postbahnhof am Ostbahnhof” steht auf den Plakaten, die flächendeckend in Ostdeutschland geklebt worden sind: ”Zum letzen Mal in Deutschland und nur noch bis zum 2. September. Jetzt rund um die Uhr geöffnet!”

Das hat wenigstens ein Gutes: Am 3. und 4. September weilt Professor Hagen von Gunther in Berlin um seine Plastiken abzubauen und zu verstauen und wenn er schon in der Stadt ist, dann könnte man ihn auch interviewen.

Um kurz vor Zehn ist der Postbahnhof gefunden. Und wo sind die avesierten Menschenschlangen? Ein paar versprengte Menschen schlendern Richtung Eingang (...er ist nur noch 20 Meter entfernt...) und stellen sich an einer Boa-Constrictor an, die heute anscheinend wenig zu fressen bekommen hat. Doch schnell erkennt man, dass das Tier sehr wohl gut genährt ist, es jedoch vorgezogen hat, sich in fünf Windungen zum Eingang zu bewegen. Kennt man ja schon von der EXPO in Hannover, also: Zähne zusammen und durch!

Schnell entwickelt sich ein neuen Sport unter den Wartenden indem man die ‚Neuen‘ hämisch beobachtet. Wie sie in Richtung einer Boa-Constrictor schlendern, die heute anscheinend wenig zu fressen bekommen hat, doch schnell erkennen, dass das Tier sehr wohl gut genährt ist, es jedoch vorgezogen hat, sich in fünf Windungen zum Eingang zu bewegen.

Eins Stunde später und drei Windungen weiter ahnt man, dass es nur noch eine knappe Stunde dauern wird, bis man den rettenden Eingang erreichen wird. Unmut macht sich breit über gipsfüssige Krüppel mit Gehhilfen und Gehilfen (”Das nächste Mal suche ich mir auch einen Fußlahmen und helfe dem rein.”), die an der Schlange vorbei vorgelassen werden, ebenso wie Schwangere (”Was gehör’n die da überhaupt rein?”) und Rollis (”Nachher kann der wieder springen wie ein junger Gott.”). Langsam setzt die Diskussion unter den Wartenden ein. Von ‚rein wissenschaftlichem Interesse‘ ist die Rede, davon, dass man sich selbst vorstellen könne, sich plastifizieren zu lassen ”...aber nur, wenn ich kein Geld mehr für die Beerdigung habe...”. Es solle ja Sozialhilfeempfänger geben, die sich drei Mal verkauft hätten. Einmal die Haut, dann die Knochen und zuletzt die Muskeln. Und jetzt müssten sie nur noch sterben, aber das wollten sie nicht. ”Da ist schon mancher umgelegt worden, weil er seinen Vertrag nicht erfüllt habe.” --- Zuhören in der Schlange der plastinierten Wartenden ist fast wie ein Preview auf Goethes lang ersehntes Buch ”Faust III – Die Rückkehr des Teufels”.

Nach weiteren 45 Minuten hat man den Eingang erreicht, der sich jedoch sogleich als geschickte Falle erweist. Ein kleines Schild weist die Eintretenden darauf hin, dass es ab hier ”...nur noch eine Wartezeit von ca. 1 Stunde...” gibt und man bittet die Boa um Verständnis. Im Postbahnhof dann beginnt der zweite Teil der Gehirnwäsche. Alle, die stundenlang draußen in Wind und Regen ausgeharrt haben, satt der Erzählungen einiger Alleinunterhalter oder notorischer Handybenutzer, saugen nun begierig die bildlichen, filmischen und akustischen Informationen auf, mit denen sie nun eine Stunde lang berieselt werden oder lesen die unzähligen Magazin- und Zeitungsartikel, die (natürlich) in Kunststoff eingeschweisst an den Wänden hängen. Immer wieder erstaunlich sind die Tricks, mit denen einige der Wartenden die Wartezeit abkürzen.

Einem wird übel, er wird zum Stuhl in Kassennähe gebracht, durchlebt dort wie einst im Fussballeuropapokalfinale eine wundersame Schnellheilung und kann die Aussstellung vorfristig aufsuchen. Auch die Dame, die ihre Reisegruppe verloren hat und in der Schlange immer weiter vorne Anschluss sucht um dann doch resigniert am vorderen Ende der Boa festzustellen: ”Ich find’se nich. Soll ich jetzt überhaupt noch reingehen? Na, ja. Wo ich schon mal hier bin!” Offenbar hat die Frau Max Reinhardts Schauspielakademie mit Auszeichnung absolviert, denn nun versucht sie auch noch zum Ermäßigungspreis Einlass zu erhalten ”...weil mir meine Reisegruppe abhanden gekommen iss. Also, ich zahl doch keine fünf Mark mehr! Ich ge-hör-e zu ein-er Rei-se-grup-pe!!!”

Überhaupt waren es vor allem die Frauen, die für bleibende Eindrücke sorgten. Dass die ”Würde des Menschen” zwar nicht antastbar ist, dafür aber gefühlt werden kann bewies die Zwanzigjährige, die das Geschlechtsteil des ”Werfers” anfasste, obwohl ihr Freund sie zuvor nochmals ausdrücklich auf die Schilder ”Bitte nicht berühren!” hingewiesen hatte. Kaum hörbar deswegen seine Rückfrage: ”Und... - ...wie hat es sich angefühlt?” ”Na, ja...”, sagte die junge Frau, ”...normal. --- So wie immer.”, worauf ein leichtes Hüsteln aus allen Ecken des Raumes hörbar wurde. Sie bewies aber vor allem eines: Frauen stehen halt eher auf den sportlichen Typ von Mann.

Ganz anders etwas später die beiden Damen aus Fürstenwalde bei dem Plastifizierten, der seine eigene Haut vor sich her trug. ”Also, ik fühl jetzt mal, wie schwer die Haut von dem Otto wirklich iss.” Der Hinweis des imaginären Sprechers, der einem per Handy ins Ohr säuselte, dass es ein Gewicht von acht Kilogramm sei, wurde dadurch ignoriert, dass die andere der beiden Damen schon kräftig zupackte. ”Fühlt sich irgendwie wie Leder an”, sagte sie. Eine wirklich unerwartete Antwort.

Ein ganzes Pferd hat Hagen von Gunther teilweise gehäutet und in Kunststoff konserviert. Und einen Menschen hat er darauf gesetzt. Der reitet das Pferd und schwingt die Peitsche. Im Postbahnhof am Ostbahnhof und zudem auf hunderttausenden Plakaten. Aber das tut er laut Hagen von Gunther nur aus rein wissenschaftlichen Gründen. Konnte man sich ‚früher‘ nicht vorstellen, wie ein Pferd mit Reiter von innen aussieht, so ist dies jetzt kein Problem mehr. ”Wer reitet so spät durch die Nacht und verkehrt? Es ist der Plastifizierte auf seinem Pferd.”

Nach dem Besuch der Ausstellung konnte man sich, fast so wie in dem Song der ‚Tiger Lillies‘, noch einige Souvenirs mitnehmen: Postkarten mit dem Schimmelreiter, T-Shirts mit der Raucherlunge und coolen Sprüchen, kleine in Kunststoff eingegossene Menschen, die ihre Haut vor sich hertragen, Poster mit Plastifizierten Menschen, die vor Planeten und Galaxien schweben und Formulare, die man ausfüllen konnte: Die Lizenzen zum Plastifizieren des eigenen Körpers. Die Gehirnwäsche während der Wartezeit vor der Ausstellung hatte also gewirkt, wie Hagen von Gunther per Videoeinspielung immer wieder bestätigte. Viele Menschen, so der Meister der Fun-plastischen Chirurgie, die zuvor unentschlossen gewesen seien, würden sich während der Ausstellung zu einem chirurgischen Eingriff in ihr Leben entschliessen. Statistisch gesehen wären es etwa 15 % mehr als ohne Ausstellung.

Eine ‚Komödie der Irrungen‘ am und im Postbahnhof am Ostbahnhof, denn wie sagt schon Antipholus, der Erste: ”Ist dies die Erd‘? Ist’s Himmel oder Hölle? Schlaf oder wach ich? Bin ich bei Verstand?” und Antipholus, der Zweite bemerkt später: ”Ein wahres Beingeripp, ein Scharlatan, ein Taschenspieler, schäbiger Glücksprophet. Hohläug’ger Schlucker mit gespenst‘gem Blick, wie ein lebendig Toter.”

Ob Shakespeare dabei an Menschen wie Hagen von Gunther dachte, dessen Arbeit im Lichte von ”Sein oder Nicht-Sein” plötzlich ganz anders erscheint.

Alle sahen Strelitz ehrfürchtig an. ”Du hast künstliche Tote gesehen?” fragte ihn Goalgetter. ”Dann können wir ja gleich einpacken. Zu viel Konkurrenz.” ”Ich kann dich beruhigen...” erklärte ihm Strelitz ”...es waren nicht so viele. Tote Künstler dagegen gibt es wie Sand am Meer.” Nun war Jesus wieder an der Reihe und ergriff das Wort.

[... to be continued ...]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen