Mittwoch, 10. März 2010

Der Mann, der für den Frieden sitzt

“Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zu der wahren Unsterblichkeit meine ich, wo die Tat lebt und weiter eilt, wenn der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.” (Schiller)

So sieht er also aus, denkt sich Strelitz. Erwin heißt er und einen festen Händedruck hat er, der Mann, der für den Frieden sitzt. Viele Freunde hat er nicht. Sympathisanten gibt es einige, aber Freunde? Vielleicht die junge Frau, die sich ihm angeschlossen hat und jetzt jeden Tag bei ihm ist. Oder die Verkäuferin aus der Bäckerei, die ihm jeden Morgen frisches Brot gibt, nachdem sie erleichtert festgestellt hat, dass er noch da ist. Und da sind die Punks von den Jungen Gemeinde. Die haben ein Auge auf Erwin und versuchen ihn zu schützen, so gut es geht. Aber auch Punks müssen einmal schlafen, spätestens nach der zehnten Flasche Bier.

Andere sind da trinkfester. "Vielen Dank den netten Menschen, die mich heute Nacht getreten haben, als ich schlief und meine Kasse mitgenommen haben" steht auf einem Pappschild, das Erwin frisch geschrieben hat. Messerschnittfrisuren sollen sie gehabt haben und im Kopf nicht nur die Bierfahne.

Strelitz setzt sich zu ihm. Heinz Rudolf Kunzes Gedicht habe ihm gut getan, sagt der Mann, der für den Frieden sitzt. Allerdings: Nicht in Erfurt sitzte er, es ist Jena, sagt Erwin, aber, was spiele das schon für eine Rolle. Vielleicht habe ihn Kunze dadurch nur schützen wollen, sagt Erwin und er sagt, dass er hier sitzt, weil sich in den Köpfen der Menschen etwas verändern muss. Und in den Köpfen würde sich nur dann etwas verändern, wenn sie sehen würden, dass ein Mensch wirklich zu seiner Sache steht - oder noch besser: sitzt.

Eine Botschaft hat Erwin für die Menschen: Die Kosten des Vietnamkrieges, die Kosten des ersten Golfkrieges und die des zweiten zusammengenommen hätten ausgereicht, dass bis heute kein Kind auf der Welt hätte verhungern müssen. Sein Eintreten gegen den Krieg ist ohne Kompromisse; Tag und Nacht hält er Mahnwache. Seit mehr als zwanzig Jahren sei er an den Rollstuhl gefesselt, sagt der Mann, der für den Frieden sitzt, da kommt es auf die Zeit in der Fußgängerzone nicht an.

Selbst wenn ich hier drei Monate sitze, sagt Erwin, und zwei Menschen haben nachgedacht und haben ihr Leben für sich ein Stückchen geändert, dann hat sich Großes getan. Sagt er.

Und Strelitz sagt gar nichts.

Er ist sprachlos.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen