Freitag, 12. März 2010

Strelitz erzählt eine: Skandinaveske

Vor langer Zeit lebte in Nordschweden in einem Dorf namens Blinxdae ein Mann, der wurde von Geburt an von allen nur ‚Böse‘ genannt. Das Leben meinte es nicht gut mit ihm, er verlor drei Finger und damit auch seine Arbeit im Sägewerk, einer seiner zwei Söhne geriet auf die schiefe Bahn, der andere fiel im Krieg und seine Frau starb kurz danach vor Gram, Böse war damals gerade Anfang vierzig. Als er die Fünfzig überschritten hatte zog er sich von seiner Umwelt zurück -seine Rente und der Verkauf eines Ackers an einen Herrn aus der Stadt sicherte ihm ein bescheidenes Auskommen-, lebte nur noch in seinem kleinen Haus und man sah ihn nur noch sehr selten im Dorf. Mit sechzig Jahren beschloss er, sein Haus nur noch in der Dunkelheit zu verlassen, kurz Luft zu schnappen und nach den Sternen zu sehen. Wenn ihn dabei jemand sah, dann ging er schnell wieder in sein Haus zurück. Deswegen sprach man über ihn in Blinxdae nur noch abstrakt, also nicht “Herr Böse hat...” oder “Böse wollte doch...” sondern man sagte: “Das Böse war heute nacht wieder mal vor den Haus.”

Die Kinder fürchteten sich vor ihm, wie Kinder eben so sind, denn es war ihnen klar, das in Blindae nachts manchmal ‚das Böse‘ unterwegs ist. Böse wurde siebzig und Blinxdae wurde im Zuge einer nordschwedischen Gebietsreform nach Groeners Enden eingemeindet. Fortan gab es zwar kein Dorf mehr, aber Böse war das egal, denn er ging nun kaum noch nachts vor sein Haus. Die Stadt Groeners Enden wuchs und wuchs und noch viel später, Böse war jetzt fast 90 Jahre alt geworden, stellte eine königliche Untersuchungskommission fest, das der seinerzeitige Stadtvater Johann Solveig Groener in seiner Jugend ein schlimmer Finger gewesen war, wohl an die fünfzehn Hexen hatte verbrennen lassen nur um Groeners Enden von allen Makeln reinzuwaschen und ein Volksentscheid noch einige Jahre später führte dazu, dass die Einwohner von Groeners Enden nichts mehr mit Johann Solveig zu tun haben wollten uns das Groeners einfach aus ihrem Stadtnamen entfernten: Ihre Stadt sollte für alle Zeiten nur noch einfach Enden heissen.

Auch dies störte Böse nicht im geringsten. Er hatte inzwischen so vieles aus seinem Leben vergessen, dass er nicht einmal mehr wusste, wieso Blinxdae vor über zwanzig Jahren überhaupt zu der Ehre kam in Groeners Enden eingemeindet zu werden. So gingen die Jahre dahin, seinen einhundertsten Geburstag feierte in kleinstem Kreis mit sich allein, denn man hatte auf offizieller Seite ‚das‘ Böse schlichtweg vergessen. Nicht einegtlich vergessen, aber der Angestellte der Statistikbehörde, der mit dem Erfassen der Hundertjährigen zu tun hatte, konnte für Herrn Böse keinen Nachnamen finden und nach dem er zwei Termine seines Vorgesetzen für die Fertigstellung der Liste hatte verstreichen lassen, ‚entfiel‘ ihm der ‚Böse‘-Vorgang und die Sache war erledigt.

Noch ein paar Winter und Sommer gingen ins Land und Böse war inzwischen einhundertundsieben Jahre alt. Da starb nahe Göteborg ein Herr Stiegelmann im biblischen Alter von 111 Jahren und ‚das‘ Böse war plötzlich der älteste Einwohner Schwedens. Eine solche Tatsache konnte nun aber keinem Statistiker mehr entfallen. Und dass der älteste Mitbürger des Königreiches nun in Enden lebte war ebenfalls nicht lange geheimzuhalten. Schon gar nicht, da dieser Mensch auch noch, nach neuesten wundersamen Nachforschungen im Königlich Schwedischen Statistikamtes, mit Nachnamen ‚Enden‘ hiess; Herr Enden aus Enden: Alter Schwede!

Also machte sich eines Tages, es war November und Böses einhundertundzehnter Geburtstag, eine Delegation mit hochrangigen Regierungsvertretern, der schwedischen Königin und dem Bischof von Mora auf den Weg zum nördlichen Polarkreis nach Enden um den ältesten Schweden zu besuchen. Und siehe da: Es war Polarnacht und Böse war im Garten und natürlich überrascht über die vielen Besucher und deshalb ging er wieder schnell in sein Haus zurück. Wie es ihn ginge, fragte ihn die Königin, ich bin Deine Königin, sagte sie noch dazu. Nicht so gut, erwiderte ihr Böse. Aber lieber Herr Böse, sprach die Königin nochmals, sie sind jetzt so alt, wie kein anderer Mensch in gang Schweden; das müsste sie doch freuen. Mich freut gar nichts mehr, entgegnete ihr Böse. Wenn meine Frau da wäre, das würde mich freuen, setzte er nach. Da sprach die Königin: “Guter Mann. Ich kann dir deine Frau nicht mehr wiedergeben, die ist vor vielen Jahrzehnten gestorben. Aber ich habe hier eine junge Frau, die ist ihre Urenkelin - die Tochter ihres Enkels, der geboren wurde, als ihr Sohn im Gefängnis war vor vielen Jahren. Und alle haben sie bis heute niemals zu Gesicht bekommen. Bitte kommen sie doch aus dem Haus heraus.

Da kam er aus seinem Haus und sie standen sich gegenüber, Böse und seine Enkelin. Und sie sah genauso aus, wie seine Frau, die vor so vielen Jahren von im gegangen war und TVS 2 übertrug die Bilder live ins ganze Land mit bis zu 61 % Einschaltquote. Am rührendsden war die Szene, als die Enkelin Böse an sich drückte und die Königin sprach: “Es wird noch, Böse Enden.” - Alle weinten. --- Wie immer wenn dieser Satz gesagt wird.

Und was folgt daraus?

Wenn er nicht gestorben ist, dann ist der älteste Schwede heute noch Böse. Aber man sollte einen Menschen eben niemals nach seinem Namen beurteilen.

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