Donnerstag, 11. März 2010

Strelitz und: Die Rückkehr der Nordseekrise

[Krise: Störung, Zusammenbruch, schwierige Zeit, Schwierigkeit, Entscheidung, Höhepunkt, Wendung; eine Krise durchmachen; politische Krise, Wirtschaftskrise, gesundheitliche Krise (=Höhepunkt einer Krankheit), Ehekrise]

[„Grillfisch satt“-Produktinformation 2004: Gegrillte Rotbarschfilets vom Grill mit Pommes frites und Remoulade. Und der Clou: Ab 15 Uhr heißt es: 1-mal zahlen, x-mal schlemmen. Holen Sie sich so oft nach, wie Sie vertragen können. Preis: 5,95 EUR. Location: Ihr Nordsee-Restaurant.]



Strelitzs Truppen standen abmarschbereit. Zwei Kompanien hatten sich seiner Führung angeschlossen. Die erste stand unter dem Befehl von Captain Bobby Silber, der Strelitz einst im legendären Mönckebrunnen-Currywurst-Wettessen nur knapp unterlegen war. Die zweite Kompanie wurde von den Eisheiligen befehligt; passend zu Hamburg vier gestrenge Herren und eine noch gestrengere Dame. Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und die Kalte Sophie hatten sich monatelang auf diesen Tag vorbereitet und die besten Kräfte aus dem ganzen Land versammelt, darunter bayerische Knödelfresser, die Aktivisten von der Schweriner Karnevals Gesellschaft Blau - Gelb, dazu noch die komplette Mannschaft von Düsseldorf Rheinfire und die Wildecker Herzbuben. Am 23. Februar 2004 um 15 Uhr und 9 Minuten gab Strelitz dann das Zeichen zum Angriff auf die vierzehn Nordsee-Restaurants in Hamburg.

Als erstes war das Restaurant am Südsteg des Hauptbahnhofs erobert, kurz danach folgten die Einrichtungen am Berner Heerweg, Jacobsberg und im Tibarg-Center. Gegen halb vier Uhr konnten die Eisheiliegen Strelitz telefonisch den Abschluss der Besetzungsaktion vermelden; sie hatten mit ihren Söldnern inzwischen auch die Filialen im EKZ ‚Alstertal‘, am Billstedter Platz, in den Harburg-Arcaden, der Lüneburger -, Hamburger - und Osterstraße, der Wandsbeker Marktstraße sowie der Osdorfer Landstraße und das Meeresbuffet in der Heegbarg unter Kontrolle gebracht.

Auch Captain Silver und die Berber vom Freihafen hatten da bereits die St. Pauli Landungsbrücken, das Rasthaus Stillhorn Ost und die Dammtor-Filliale am Hauptbahnhof eobert. Doch versperrten ihnen Andershungrige die Türen am Hamburger Rathaus, was sich aber schnell als der närrischen Zeit geschuldet herausstellte. Exakt um 16 Uhr europäischer Winterzeit war dann aber auch diese Filliale geschafft und Strelitz gab den verbliebenen Truppenteilen den Befehl zum Formieren, nahm selbst ein Tablett in die Hand, ging an den Tresen der Nordsee-Filiale an Ponton 1 und rief die Parole: „Grillfisch satt!“ in sein Funkgerät.

Was danach in Hamburg geschah war so unglaublich, dass es selbst in den Tagesschau-Nachrichten verschwiegen werden musste. Nach drei Stunden Dauergefechten an den Brat- und Siedegeräten meldeten die Nordseeleute ab 19 Uhr erste größere Verluste: Die Osdorfer Landstraße und Ponton 1 konnten nichts mehr servieren. Von mehreren Anwälten, die Strelitz vorsorglich mitgebracht hatte, mussten sie sich mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte konfrontiert sehen, weshalb ein Filialleiter - dessen Namen hier verschwiegen werden soll, denn der Mann hat noch Angehörige in Japan - seine rechte Hand in eine Fritteuse mit siedendem Öl steckte: eine zwar grausame aber den Sitten im Land der aufgehenden Sonne durchaus entsprechende Geste der Demut vor dem unzufriedenen Gast.

In die von der Konzernleitung umgehend via Helicopter angeordnete Notbelieferung der zwei Filialen mussten kurz danach auch die Restaurants am Billstedter Platz, in den Harburg-Arcaden und das Meeresbuffet Heegbarg aufgenommen werden und der Geschäftsschluss um 20 Uhr war lange noch nicht erreicht. Bereits um 19 Uhr 20 traf bei der Nordsee GmbH am Ida-Ehre-Platz 11 ein Handyanruf von Strelitz an, den man kurz darauf in die Konzernleitung zu Adolf Vinnen jr., der grauen Eminenz des Nordsee-Imperiums, durchstellte.

„Was wollen sie?“ fragte er Strelitz in kurzen klaren Worten, wartete dessen Antwort aber nicht ab und sagte sofort: „Junger Mann, am 23. April 1896 gründete mein Ur-Großvater mit einer Gruppe von Reedern und Kaufleuten aus Bremen die 'Deutsche Dampffischerei-Gesellschaft Nordsee'. Mit sieben Fischdampfern startet damals die unternehmenseigene Fangflotte. Das Ziel: Frischen Fisch auf dem schnellsten Wege im Binnenland anzubieten.“ Vinnen jr. schnaufte dabei einem Dampfschiff ähnlich. Strelitz schwieg. „Noch im Jahr 1896 eröffnete die erste Nordsee Verkaufsstelle in Bremen. Mit einer bereits auf 16 Dampfer gewachsenen Flotte wurde ein Jahr später ein Nordsee eigener Fischereihafen in Nordenham in Betrieb genommen. Am 22. April 1905 fielen in Nordenham sämtliche Betriebsgebäude einem Großbrand zum Opfer. Wir mussten den Ersten Weltkrieg überstehen und den Zweiten. Kurz vor Kriegsausbruch 1939 betrieb die Nordsee nahezu die Hälfte der gesamten deutschen Fischereifahrzeuge. In den Neunziger Jahren wurden wir eine GmbH mit Unilever und der Deutschen Bank im Rücken. Alles lief bestens bis heute.“ Adolf 'Dampfschiff' Vinnen jr. holte nochmals tief Luft als er wiederholte „Also, junger Mann: Was wollen sie?“

Strelitz dankte dem großen alten Herrn der Gräten für seine informativen Worte und sagte dann: „Was ich will? Ich denke, noch eine Portion Rotbarschfilet -gegrillt- mit Pommes und Remouladensauce. Aber nur, wenn Ihnen das nicht zu viele Umstände macht.“ Vinnen jr. legte wortlos auf. Aber danach dauerte es nur noch wenige Momente - Strelitz zählte Zeitspannen nicht mehr in Minuten sondern in Essensrationen: für ihn war es zwei Portionen Seehecht, einmal Rotbarsch und vier Fischfrikadellen später ... natürlich inklusive der Beilagen -, bis die Anweisung der Konzernleitung kam, dass alle Kampfhandlungen einzustellen sind und die Filialen in Hamburg sämtlich geschlossen werden.

Strelitz wurde mit einer Stretchlimousine am Hafen abgeholt und zum Ida-Ehre-Platz gefahren. In der 14. Etage des Bürohauskomplexes wurde kurz darauf die Kapitulationsurkunde unterschrieben. Vinnen jr. gab Strelitz frostig die Hand und sagte: „Ab jetzt gibt es also die Aktion 'Grillfisch satt' jedes Jahr. Allerdings nur, wenn sich jeder einzelne ihrer Leute auf maximal zwei Portionen am Tag beschränkt. Dafür ziehen sie sich heute Abend noch aus Hamburg zurück und wir stoppen die diesjährige Aktion mit sofortiger Wirkung im ganzen Land.“

Unter dem Jubel der vor der am Ida-Ehre-Platz versammelten Strelitz-Anhänger und nach draußen geleitet von Adolf Vinnen jr. und dem regierenden Bürgermeister (der angesichts der Abwendung drohender Hungerunruhen so kurz vor der Wahl erleichtert schien) kam Strelitz aus der Konzenleitung zurück auf die Erde. Vinnen jr. nahm ihn beiseite, bedankte sich bei ihm dafür, dass er das ganze in Hamburg und nicht in Bremen veranstaltet hatte, murmelte dabei etwas von „Firmentradition“ und „Sie wissen schon“ und klopfte ihm dann aufmunternd auf die Schulter. „Na dann, ahoi, junger Mann“

Bevor Strelitz ging, drehte sich noch einmal um, schaute sich das Nordsee-Logo am Gebäude an: ein in seiner Mitte durchgeschnittener roter Fisch und musste dabei an Vinnens Bemerkung denken „mit sofortiger Wirkung im ganzen Land.“ Dabei lächelte er. Dieses Lächeln hätte auch Adolf Vinnen jr. auffalen können, wenn dieser es bemerkt hätte und ihm gleichzeitig bewusst gewesen wäre, dass die Nordsee Handelskette erst vor kurzem im Züricher Hauptbahnhof das erste Meereesbuffet der Schweiz öffnet hätte und in die Alpen wollte Strelitz schon lange einmal reisen.

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