Mittwoch, 10. März 2010

Strelitzens Kreuzzug -Teil 3 und 4-

[... Fortsetzung ...]

”Ich war einmal,” sprach Jesus Kilian, ”SCHLAFLOS IN GÖTTINGEN

(Vorbemerkung: Der Künstler lässt sich gerne zu seinen Auftritten fahren. Es wäre unter anderen Umständen besser, er ließe sich gehen.)

Jesus schreckte auf, als der Auktionator rief: ”Die Tour wird versteigert - zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten.” Der erste Teil des Konzerts war zäh wie Leder gewesen und hart wie Kruppstahl. Flink wie die Windhunde waren nur die Reihen 14-18, die fast gleichzeitig den Saal verlassen hatten. ”Kalte Kunst” murmelte jemand und traf damit den Nagel in den Sarg. ”Ich wußte es...” sagte J. K. ”...ich wußte es schon in dem Moment, als ich meine Texte vergessen hatte. Aber, was tut man nicht alles für sein Publikum?” - Die Jugend von heute brachte ihm die Texte ja glücklicherweise nach drei Minuten auf die Bühne, festgehalten von den eisernen Fesseln seines Ringbuches. Keine tele-prompte Lieferung, aber irgendwie menschlich.

Später dann war alles wieder wie früher. Nichts ist so erbärmlich wie eine Tournee von gestern. Vor allem, wenn die Distanz zwischen dem Künstler und seinem Compagnion im besten Fall zwar mehr als 9 Meter 54 beträgt, aber trotzdem keinen Abstand bringt. Wäre ja noch schöner; wo käm‘ man denn da hin Mensch! Die Fans tobten, J. K. sagte: ”Das tut gut” und es stimmte ja auch, denn echte Fans haben immer recht. ”Bitte mache irgend etwas...” sprachen die Wunderkinder zu ihm, ”...ganz egal was es ist, wir werden es lieben. Aber es muss von Dir sein.” Wie sollte man das noch toppen? Frau Ehrhardt hatte die Antwort für Jesus auf Lager und so sagte er ganz automatisch: ”Ich signiere nach dem Konzert ALLES, was mir vorgelegt wird.” --- Die blonde Heidi fragte ihn: " Beschreibst Du mir Deinen Körper?"

War es Stravinsky gewesen, der wegen seines Publikums stetig vertrackter, komplizierter und wahnsinniger komponierte, immer in der vagen Hoffnung, dass nun endlich der Punkt erreicht sein müsse, an dem jemand sagte: ”Jetzt verstehe ich ihn nicht mehr”. Und was kam am Ende dabei heraus? Sie liebten ES noch abgöttischer! J. K. war für kurze Zeit sprachlos, als er sich selbst nicht mehr verstand, sein Compagnion aber vor der Presse erklärte, er finde diesen und jenen Text toll und wisse genau, was J. K. damit hätte sagen wollen. Jesus dachte: ”Was hat der Hund gesagt?” - In letzter Minute konnte er die Versteigerung noch abwenden indem er sie für sich selbst ersteigerte und zwar als Abschiedsgeschenk. Hatten die Beatles nicht auch völlig unerwartet aufgehört auf Tour zu gehen.

Nachts saß J. K. am Flügel an der Hotelbar und spielte seine besten Songs. Er wußte zwar nicht, ob es überhaupt jemand hören wollte, aber irgendetwas mußte ja ja schließlich machen; schlafen konnte er nicht. Plötzlich tippte ihn jemand von hinten auf die Schulter. Es war nicht Heidi, wie er für einen kurzen Moment gedacht hatte, sondern ... Strelitz.

”Gut siehst Du aus,...” sagte J. K. ”...eigene Meinung, eigenes Einkommen, eigene Homepage.” ”Das solltest Du auch mal versuchen”, sagte Strelitz zu ihm. ”Was sollte ich versuchen?”, fragte Jesus Kilian. ”Eine eigene Meinung vielleicht?” ”EINE wäre für den Anfang schon nicht schlecht”, entgegnete ih Strelitz. Beide schwiegen. J. K. fand als erster seine Worte wieder.

”Und wie hat Dir das Konzert gefallen?”, wollte er wissen. ”Ach doch ...”, sagte Strelitz, ”es war ganz gut, auch wenn ein paar alte Lieder dabei waren.” ”Jawoll”, sprach da der Meister, ”genau so wollte ich es. Am Ende nur das Beste für mein Publikum.” ”Du meinst, es wäre das Beste, wenn es dem Ende entgegen geht?” J. K. schwieg. Nach einigen Momenten der Srille fragte er mit resignierter Simme. ”Also, was soll ich Deiner Meinung nach tun?”.

”Du hast vom Grunde her drei Möglichkeiten.” klärte ihn Strelitz auf. ”Entweder Du bringst Dich um. Das würde in der Tat bzw. danach den Verkauf deines neuen Albums ungemein fördern. Oder Du befolgst den Fünf-Punkte-Plan Deiner Lebens-Managerin.” ”Und der wäre?” ”Einen Augenblick bitte.” Strelitz holte einen verknitterten Zettel aus seiner Jacke. ”Da hätten wir: a) Ein Live-Piercing, übertragen in den News von RTL II, danach als Pukt b) Ponyreiten mit Onkel Jesus und zum Schluß ein kostenloses Privatkonzert bei Carmen Nebel.” ”Und was noch?”, fragte Jesus, ”Für mich sind das bis jetzt nur drei Punkte.” Strelitz sah auf seinem Zettel nach, drehte ihn auf die Rückseite, konnte aber dennoch keine weiteren Punkte finden. ”Wahrscheinlich sind die anderen zwei den allgemeinen produktionstechnischen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen, unter denen Deine Karriere seit einiger Zeit leidet”, spottete Strelitz. ”Aber Du weißt doch”, fuhr er fort, ”wie das so ist im Musikbusiness: Es wird viel versprochen, am Ende dann wenig gehalten aber dafür soviel Geld wie möglich herausgepresst. Man kann ja nie wissen, was der nächste Tag bringt.”

Jesus lächselte und sagte: ”Also ich finde, es hätte schlimmer kommen können.” ”Das stimmt”, antwortete ihm Strelitz, ”hier steht zu Punkt Ponyreiten noch: Jesus ist das Pony. ”Sonst noch was?” wollte J. K. wissen. ”Du hast von einer dritten öglichkeit gesprochen.” - Strelitz klärte ihn über die dritte andere Möglichkeit auf: ”Du könntest Dich auf Deine Stärken konzentrieren. Mach mal eine Arbeitspause und kehre Deutschland den Rücken zu. Suche Dir eine einsame Insel. – Napoleon's on Elba, Gaugin's on Tahiti, Robin's on Crusoe und so weiter.” ”Du meinst, ich sollte auf einer Insel verschellen ... oder heißt es verschollen ... ? Mist, wovon leitet sich überhaupt ‚verschollen‘ ab?”, fragte Jesus. ”Weist Du, genau das genau ist mein Problem. Seit einiger Zeit, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Ich hab’s vergessen.” ”Daher scheint auch Deine Schlaflosigkeit zu rühren”, antwortete ihm Strelitz. ”Du produzierst von Jahr zu Jahr mehr und mehr kalte Kunst. Wie ein besessener Chirurg sezierst Du die menschlichen Eigenheiten, aber die Menschen wollen nicht seziert, sondern geliebt werden.” ”Ja aber was soll ich tun?”, fragte Jesus verzeifelt. ”Das weißt Du selbst am Besten”, sagte ihm Strelitz. ”Es ist ein Privileg des Philosophen Jesus Kilian auf die drängendsten Fragen der Gegenwart keine Antwort zu wissen und doch
wortgewaltig zu sein. Mach was draus ... ürigens leitet sich verschollen von Verschallen ab. Wer verschollen ist, der hat nichts mehr zu sagen, der wird nicht mehr gehört.”

Auf dem Schädelberg hatten die Wartenden dem interaktiven Schauspiel der beiden Kontrahenten atemlos beigewohnt. Dies war keine Erzählung gewesen, er war ein Wechselspiel von Strelitz und Jesus eworden. ”Beeindruckend”, sagte Goalgetter. ”Das macht die Entscheidung nicht leichter.” Er deutete auf Strelitz und sagte. ”Nun bist Du wieder an der Reihe” Strelitz winkte alle ein Stück nähe zu sich heran und begann mit den Worten:

Bud und Joe waren Blueshändler. Ich traf sie ein einziges Mal in meinem Leben und das war im Alter von 16 Jahren. Bud sah Joe fragend an. „16 ist der Kerl und will schon den Blues?“ Joe nickte und meinte dann: „Erzählen kann der uns viel. Schicken wir ihn erst einmal zu Jamima. Wenn die sagt, er kriegt den Blues, dann kriegt er den Blues.“ Beide nickten einander zu und wippten weiter mit ihren Schaukelstühlen auf der Veranda. „Ach so“ sagte Bud, schob den Hut aus seinem Gesicht, sah mir in die Augen und deutete in Richtung des Stalles, der sich links neben dem alten Holzhaus befand. „Da geht’s lang!“ In einem Verschlag neben dem Stall befanden sich Hühnerboxen. Eine von ihnen war rosa angemalt und über ihr stand mit ungelenken Buchstaben das Wort ‚JAMIMA‘ geschrieben. Wie um alles in der Hölle konnte mir ein Huhn weiterhelfen, konnte sagen „Ja, gebt ihm den Blues.“? Gerade, als ich dies dachte, räusperte Jamima sich, stand auf und auf einer kleinen Holzpritsche kam langsam ein Ei heruntergekullert. Ich fing es auf und brachte es zu Bud und Joe. „Das hat er gut gemacht“ sagte Bud und Joe sagte „Ich finde, er hat es sehr gut gemacht. Besser als der Kerl, der gestern hier war und seinen Sohn Mark nennen will: Mark Bohlen.“ Beide lachten herzhaft und schlugen sich auf die Schenkel. Joe spuckte ein Stück Kautabak aus und sah sich das Ei genauer an. „Hat ‘ne Menge Flecken.“ sagte er und gab es weiter an Bud. Der schüttelte es und meinte dann: „Hat aber auch ein gutes Gewicht.“ Wieder nickten beiden nahezu synchron. Dann schaute Bud mich an. „OK!“ sagte er zu mir „Jamima hat gesprochen. Du kriegst den Blues. Die Flecken sagen: Mit 40 ist er da.“ Und Joe sagte: „Genieße noch die zwei Dutzend Jahre ohne Blues. Wenn Du ihn erst einmal hast, lässt er Dich nicht mehr los.“ Beide standen von ihren Schaukelstühlen auf und Bud sagte: „Und jetzt lauf, Junge, lauf. Onkel Joe lässt gleich die Bluthunde los.“ Ohne zu zögern drehte ich mich um und fing an zu rennen. Und während ich rannte, hörte ich, wie die Tür des Hauses geöffnet wurde, hörte das Hecheln der Hunde und vernahm zum letzten Mal Buds rauchige Stimme: „Hunde die beißen, bellen nicht.“ brüllte er mir hinterher. Ich wusste: Die meinten das ernst. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es damals unversehrt aus dem Delta geschafft habe. Aber die letzten Wochen, bevor ich 40 Jahre alt wurde, konnte ich kaum noch abwarten. Und tatsächlich: Drei Tage nach meinem 40. Geburtstag bekam ich den Blues. Danke Joe, danke Bud, danke Jamima. Und was sind schon drei Tage Verspätung nach so vielen Jahren?”

Goalgetter nickte Strelitz zu. "Das war eine schöne Geschichte. Ich habe nicht viel davon verstanden, aber die Sache mit dem Huhn hat mir gefallen." Goalgetter stand auf und sprach: "Jesus Kilian, Strelitz von Nazareth. Eure Zeit ist nun so gut wie abgelaufen und ich muss sagen: Ihr wart für mich gleich gut. Jesus, da Du am länsten hie rbist, darfst Du entscheiden welche Seite der Münze, die ich gleich werfen werde, Deine sein soll. Kommmt diese Seite, dann trifft das Schicksal Strelitz. Wenn nicht, dann trifft es Dich. Also überlege Dir gut, welche Seite Du wählst. Kopf oder Schrift?" fragte Goalgetter. Jesus überlegte einen kurzen Moment und antwortete dann: "Ich wähle die Schrift". - Sogleich warf Goalgetter die Münze in die Luft. Als sie im Sand aufschlug und sich der Staub verzogen hatte, war 'Schrift' zu sehen. Keine Frage: Strelitz musste ans Kreuz.

Die ganze Prozedur dauerte kaum fünf Minuten. Kilian wurde von drei Soldaten gepackt, seine Arme wurden auseinander gezogen, die Beine zusammengedrückt und er wurde mit Nägeln am Kreuz befestigt. Oben an das Kreuz kam eine Holztafel mit den Initialen 'S.N.S.K.' für 'Strelitz Nazareth Spiritus Kilian'. Dann wurde das Kreuz im Boden verankert und Goalgetter forderte den Totgeweihten auf, seine letzten Worte zu sprechen. Und der sprach nun seine sieben Worte:

"Mein Vater, warum hast Du mich verlassen?". - Dann sackte er zusammen.

Jesus Kilian aber wurde freigelassen. Er hatte der Kreuzigung mit ungläubigen Augen zugeschaut und wandte sich nun ab. So schnell, wie es ihm möglich war, verlies er den Ort, an dem er fast seine eigenes Ende erlebt hätte. Sein Geheimnis hatte niemand erfahren. Wenn doch - daran hatte Jesus keinen Zweifel - hätte man ihn ans Kreuz geschlagen. Strelitz kannte die ganze Wahrheit; warum hatte er das Siegel der Verschwiegenheit nicht gebrochen um sich selbst zu retten? Jesus fand hierauf keine Antwort.

Später hörte er vom Wunder von Golgatha. Dort habe man jemanden gekreuzigt, obwohl der unschuldig gewesen war. Zwei Tage nach seiner Beisetzung hätte man die Grabhöhle jedoch unverschlossen aufgefunden. Der Tote selbst sei nicht mehr im Grab gewesen. "Er ist auferstanden." sagten die Menschen und "Halleluja!".

Ob dieser Auferstandene etwas gesagte hätte, als er den Menschen erschienen sei, wollte Jesus wissen. "Oh ja", sagte man ihm, "der Gekreuzigte sagte: 'Wer nicht fühlen will, muss hören.'"

In dieser Nacht schlief Jesus Kilian schlecht und wurde von schlimmern Träumen heimgesucht. In einem sah er einen Ort, der ihm als das Paradies vorkam. Wilde Tiere lebten dort friedlich mit Lämmern, reißende Flüsse wurden zahm, als sie Wasserfälle hinunterstürzten. Unten benetzten sie die Durstenden und wuschen die Schmutzigen.

In diesem Traum sah sich Jesus als Caesar und zugleich sein Reich zerfallen. In einem anderen Traum sah er den Himmel. Über den Wolken thronte ganz alleine ein Mann mittleren Alters auf einem Regiestuhl, hatte ein Megaphon vor dem Mund und gab an imaginäre Helfer Regieanweisungen für den Aufbau eines Filmsets. Als Jesus ihn ansah, blickte der auch ihn an und sagte: "Oh, Jesus. What are you doing here? Look around, man ... etz izt ganz schoen ruhic here oben. Thats all your fold! Wahrum haszt Du Disch nict kreuzigen lassen, wea vorgeseen? Allez wahr vorbereitet for you. Now I can throw away the complete Drehbuch. Allez umsonst. I have to make a different film in latein and german language. Das izt absolut BS. I think, it would be better, if you leave me now."

Während Jesus Kilian kopfschüttelnd seines Weges ging, riefen ihm die Menschen nach "Der Friede und die Freude des Auferstandenen sei mit Euch." Da wusste er, dass dies der Beginn eines langen Kampfes war: Strelitzens Kreuzzug hatte soeben begonnen. Und er, Jesus Kilian, war plötzlich mitten drin.

E.N.D.E.

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