Dienstag, 16. März 2010

Strelitz begleitet HRK 2003: (1) Heimspiel

30. April 2003: Strelitz schaute auf seine Uhr, es war kurz vor Vier am Nachmittag und damit hatte er noch genügend Zeit bis zum Beginn des Konzertes mit dem Heinz Rudolf Kunze seinen musikalischen Neubeginn feierte. Noch Jahre später sprach man deshalb ehrfürchtig vom "Abend in Bad Salzuflen". Strelitz ging zum 'I-Punkt', der Kur- und Tourist Information und tankte Wissen über die Stadt auf.

Salzuflen wurde nach der Jahrtausendwende -der ersten- mit dem geflügelten Wort "locum salis in Uflon" erstmals als Siedlung erwähnt. 800 Jahre sollte es dauern bis die Stadt erstmals Stärke zeigte, welche die Fabriken von Heinrich Salomon Hoffmann innerhalb weniger Jahrzehnte nach ganz Europa exportierten. Pünktlich zum Beginn von Weltkrieg 'I' verlieh die fürstlich lippische Regierung der Stadt den Titel "Bad". Und man ist stolz darauf; würde man sonst jedes Jahr am 23. Mai für die Erhaltung der Solequellen beten? Weitere Höhepunkte der Stadtgeschichte gab es 1963 als die neue Konzerthalle in Bad Salzuflen eröffnet wurde und 1988 als man die 500. Wiederkehr der Stadtrechtsverleihung feierte. Und nun kam also Heinz Rudolf Kunze in die Stadt. Mit neuer Verstärkung. Und mit 'Rückenwind'.

Bremen am nächsten Tag, dem Tag der Arbeit, das war ein Heimspiel, würde ein Arbeitssieg werden - kene Frage. Aber heute Abend in Bad Salzuflen für die Lippländer zum Tanz in den Mai aufzuspielen, das war Kunst; soviel stand für Strelitz fest. Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es nun Zeit war ins Glashaus zu gehen und man würde sehen, ob es am Devotionalenstand genügend Steine geben würde. Die Frage war dann nur noch: Wer würde der Steiniger sein? Überhaupt hasste Strelitz diesen Handel mit Märchen. Aber wenigstens verstellten die Kerle sich nicht: Märchendiser - eine äußerst ehrliche Berufsbezeichnung. Leider gab es keine Steine, dafür T-Shirts mit kleinem Lautsprecher vorne drauf und hinten dem Albumtitel plus rotem Pfeil, der in Richtung Arsch führte. Daher wehte also der Rückenwind. Strelitz schaute sich um. Es gab auch noch das andere Shirt mit dem Schriftzug: "Meiner Meinung nach!". Er hatte das schon vorausgeahnt und sich selbst eines drucken lassen mit der Aufschrift. "Strelitz sagt: Keiner Meinung nach!". Schnell zog er es an und begab sich in den Veranstaltungssaal. Es war kurz von 21 Uhr.

Drinnen lief die wilde Hilde und sang den 500 Kunze-Fans ihre melancholischsten Lieder vor. Jedenfalls so lange bis es dunkel wurde und "Der Kommissar" zu hören war. Dann kam Kunze und mit ihm Ulmer und die neue Verstärkung. Blutjung die Neuen, dachte Strelitz. Alle drei zusammen noch nicht einmal so alt wie H&M gemeinsam; man wird eben nicht jünger. Neben Strelitz stellte sich eine junge Frau. Ob er Heinz kenne, wollte sie wissen. Strelitz nickte. "Das dachte ich mir schon" sagte sie "er schaut Sie nämlich die ganze Zeit schon an." Das muss am T-Shirt liegen, antwortete er und fragte "Kennen wir uns?" - "Ich glaube nicht" sprach die junge Dame zu ihm. "Na dann" sagte Strelitz zu ihr, "ich heiße übrigens nicht Strelitz...". "Und ich heiße nicht Inge" sagte sie zu ihm. Strelitz merkte, dass ihm plötzlich ganz heiß geworden war. Auch Herrn Kunze beschlug es die Brille, so heiß war es im Saal inzwischen. "Na dann..." sagte die Frau, die nicht Inge hieß und ging nach links vor die Bühne. Strelitz ging vorsichtshalber, also nicht nur, weil es seine Gewohnheit war, nach rechts.

Das Glashaus war im übrigen gar nicht aus Glas sondern eine Art Speicher mit abgeflachtem Dach und Bühne und Backstage-Bereich waren mit schwarzen Tüchern voneinander abgetrennt. Auf der Bühne versuchten einige Leuten den Sound in den Griff zubekommen; vor allem mangelte es bei den ersten drei Liedern am Gitarrensound. Strelitz empfand es als eine versteckte Hommage an Heiner Lürig und lächelte, weil: Die ungewollten Effekte sind doch immer noch die besten. Bei "Mach auf" sucht Heinz dann irgendeine 'Inge' im Saal und rief ihr zu, es helfe alles nichts, sie müsse nun mitmachen. Dann erklärte er dem Publikum, dass Liebeslieder für einen Musiker die schwersten seien und lies "Rückenwind" folgen. Strelitz kannte zwar "Rückenwind", in dieser variante aber haute es die Beine weg: Was für ein Lied! Fünf Minuten lang das Beste, was dieser Abend zu bieten hatte und kein Vergleich mit der Albumversion. Nicht enden wollende Standing Ovations waren der Lohn und Heinz wurde zum ersten Mal verlegen. Er schaute sich unsicher um, als wolle er sagen: Wo bleiben die Rinderherzen?

Insgesamt war es ein unvergesslicher Abend mit Liedern, die Strelitz noch niemals live gehört hatte oder schon lange nicht mehr. Die Besucher lagen Heinz zu Füßen und er ließ sie sich von Ihnen salben. Wenn Bremen morgen ein Heimspiel werden sollte, was war denn das heute gewesen. - Nein! Er musste sich geirrt haben: DAS heute Abend war das Heimspiel und morgen spielt Heinz Rudolf Kunze auswärts.

Während Strelitz später durch den Regen nach Hause fuhr war es ihm, als ob einen Moment lang die Frau, die nicht Inge war, auf einem Besen neben ihm ritt und winkte. Mit nur noch einem Zahn im Mund grinste sie ihn lüstern an. Strelitz lies sich davon nicht irritieren. Es war unter anderen Umständen vielleicht Walpurgisnacht und er befand sich in der Nähe des Brocken. Aber die Frau, die nicht Inge war, und sich trotzdem für ihn interessierte, diese Frau war definitiv nicht gut für ihn; vor allen Dingen aber mochte er keine Frauen mir nur einem Zahn. Strelitz hielt an. "Die Frau wird mich zugrunde richten" sprach er laut vor sich hin und dachte an die einzige Inge, die er kannte. Die war inzwischen über neunzig und lebte am Südstrand bei Hamburg. Nicht-Inge kam langsam näher geflogen. "Was willst Du?" brüllte Strelitz durch die geschlossenen Autofenster. "Mach auf!" schrieb sie mit ihrem Besen an den Nachthimmel und legte noch einen Zahn zu.

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